36 ~ Fliegen

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»Echt jetzt, Lil! Lass dir doch bitte nicht jedes einzelne Wort aus der Nase ziehen«, jammerte Sara neben mir. Mit großen Augen drehte ich mich zu ihr um.

»Hast du schon komplett vergessen, dass wir gestern Abend fast zwei Stunden telefoniert haben, Sara? Ich habe dir absolut alles erzählt.« 

Meine Freundin hatte mich, kurz nachdem ich in der Schule angekommen war, in eine stille Ecke auf dem Schulhof gezerrt. Eigentlich wäre ich viel lieber in der kleinen Gruppe meiner Freunde untergetaucht, die auf dem Hof stand und auf den Unterrichtsbeginn wartete. Denn schon im Bus und auf dem Weg zur Schule hatten mich die neugierigen, bohrenden und teilweise abschätzigen Blicke der anderen verfolgt, was ich leider nur allzu deutlich bemerkt hatte. Zuerst war ich verwundert, doch dann erinnerte ich mich an die Gerüchte, die an der Schule über mich kursierten. Anscheinend hatte nun auch der Letzte Wind davon bekommen und ich war in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses gerückt.

»Erstens stimmt das nicht und zweitens ist es nochmal was ganz anderes, wenn man persönlich miteinander spricht«, klärte mich meine Freundin auf. Ihre Augen funkelten aufgeregt und auf ihren Lippen lag ihr typisch neckisches Lächeln. »Also, ich fasse zusammen: Er hat dir alle deine Interviewfragen beantwortet und du bist zwar noch nicht richtig mit ihm zusammen, aber ihr habt heute ein Date, bei dem er dich fragen wird.«

Ich zuckte mit den Schultern. Ich hoffte es, aber meine Gedanken hatten sich gestern Abend natürlich wieder im Kreis gedreht und alle möglichen Horrorszenarien durchgespielt, warum das heute nun doch nicht passieren würde. Außerdem lag mir noch eine andere Sache schwer im Magen.

»Ja, er hat alle meine Fragen beantwortet. Ich kenne jetzt seinen Lieblingslehrer, seinen Lieblingsfilm, seine Hobbys und sein Lieblingsfach. Nur auf die Frage nach seinen Zukunftsplänen hat er sehr ausweichend geantwortet und ich hatte nicht mehr genug Zeit, etwas aus ihm herauszukitzeln, weil er dringend gehen musste. Und ja, ich bin heute mit ihm verabredet. Und ja, ich hoffe, dass er mich fragt, ob ich mit ihm zusammen sein will, aber ehrlich gesagt bin ich sehr nervös und verdammt unsicher deswegen«, sprudelte es wie ein Wasserfall aus mir heraus. Ich griff nach der Hand meiner Freundin.

»Sa, bitte erzähl es niemandem. David und ich haben vereinbart, dass wir uns heute in der Schule erst mal gar nicht beachten, um die Gerüchteküche nicht noch mehr anzuheizen. Und außerdem ... Tim hat mir gestern noch eine Nachricht geschickt. Ich habe ja versehentlich mit ihm auch so was wie ein Date ausgemacht und er will mich heute um drei zum Eis essen abholen«, schilderte ich meiner Freundin meine Sorgen. Sie schüttelte lächelnd den Kopf.

»Das kann wirklich nur dir passieren, Lil. Aus Versehen ein Date auszumachen. Oh Mann.«

Ich ließ meine Augenbrauen in die Höhe zucken und freute mich insgeheim, wie gut das inzwischen funktionierte. »Das ist jetzt nicht wirklich hilfreich, Sa. Ich muss unbedingt mit Tim sprechen.«

»Da hast du aber Glück, Süße. Er ist schon auf dem Weg hierher. Und er ...« Sie bekam große Augen und ich folgte hektisch ihrem Blick. Tim hatte einen Arm um die Schulter seines Freundes Jannik gelegt und stützte sich auf ihn, da er stark humpelte. Die beiden kamen direkt auf uns zu.

»Hi«, begrüßte uns Tim und Jannik nickte mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen. 

Tims Augen richteten sich eindringlich auf mich. »Lil, es tut mir total leid. Ich hab mir gestern Abend beim Training den Fuß umgeknickt. Da ist wohl irgendwas kaputt gegangen. Jedenfalls habe ich deswegen heute Mittag um halb drei einen Termin beim Orthopäden. Sorry, aber wir müssen unser Date leider verschieben. Ich verspreche dir, wir holen das so schnell wie möglich nach, okay?« Ich konnte an seinem Gesichtsausdruck ablesen, dass es ihm wirklich leid tat. Mir tat das, was ich ihm gleich sagen wollte, auch leid, aber es führte kein Weg daran vorbei.

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