Kurze Zeit später fand ich mich auf der Straße vor dem Wohnblock wieder. Schwer atmend schaute ich nach links und rechts. Wo war nochmal diese blöde Bushaltestelle? Ich war David nur hinterhergelaufen und hatte mir den Weg nicht eingeprägt.
Okay, es musste links sein. Glaubte ich zumindest.
Nach ein paar Metern bog ich um eine Häuserecke und tatsächlich tauchte vor mir eine Haltestelle auf.
Glück gehabt.
Im nächsten Moment realisierte ich, dass ich bei der Flucht aus Davids Wohnung meine Tasche vergessen hatte.
Okay, dorthin konnte ich nicht zurück. Auf gar keinen Fall.
Panisch griff ich an die hintere Tasche meiner Jeans. Erleichtert stieß ich die Luft aus, denn dort befand sich mein Handy, in dessen Hülle wie immer ein Zehneuroschein für Notfälle steckte. So konnte ich mir wenigstens die Fahrt leisten. Jetzt musste nur noch der Bus kommen, dann wäre ich dem Teufel gerade nochmal von der Schippe gesprungen.
Kraftlos und zitternd ließ ich mich auf die Bank im Wartehäuschen fallen. Das Adrenalin in meinen Adern baute sich langsam ab und Erschöpfung machte sich in mir breit. Inzwischen dämmerte es, was die Umgebung noch verlassener und auch ein wenig unheimlich erscheinen ließ. Um mich abzulenken, zückte ich mein Handy und sah auf die Uhr. Es war fast halb neun und ich hatte zwei neue Nachrichten.
SARA:
Lil, sag mir, dass du endlich zu Hause bist. Ich sterbe vor Neugier. Im Grunde bin ich schon tot. Also ruf mich an.DAD:
Bist du zum Abendessen zu Hause? Oder übernachtest du heute wieder bei Sara? Wir haben nicht darüber gesprochen, also melde dich bitte.Schnell schickte ich Sara eine Sprachnachricht, dass ich auf dem Weg nach Hause sei und mich später melden würde. Oh Mann, was sollte ich ihr erzählen? Sie war meine beste Freundin, aber konnte ich ihr wirklich beichten, dass ich gerade fast mit David geschlafen hätte? Sie würde mich für komplett übergeschnappt halten.
Dann schrieb ich meinem Dad:
Sorry, dass ich so spät dran bin. Bin schon unterwegs. Ihr braucht mit dem Essen nicht zu warten, falls ihr nicht sowieso schon fertig seid. Bis dann.
Mit der Dämmerung wurde es merklich kühler und ich fröstelte. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei, hin und wieder hasteten einzelne Leute auf dem Gehweg entlang, aber im Großen und Ganzen war kaum jemand unterwegs. In diesem Stadtteil schien am Freitagabend nicht viel los zu sein.
Kaum hatte ich meinen Gedanken zu Ende gedacht, fiel mein Blick auf drei Typen, die gerade auf der anderen Straßenseite vorbeigingen und sich dabei lautstark unterhielten. Oder besser gesagt sich gegenseitig angrölten. Offensichtlich hatten sie schon einiges intus, obwohl es noch relativ früh am Abend war.
Plötzlich drehte sich einer von ihnen zu mir um, wobei sich ein unangenehmes Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. Er stieß dem Kerl neben sich mit dem Ellbogen in die Rippen und deutete in meine Richtung. Dieser blieb stehen und glotze mich ebenfalls an. Er war muskulös, seine Oberarme waren lückenlos tätowiert und seine langen, dunklen, fettigen Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Auch auf sein Gesicht schlich sich bei meinem Anblick ein obszönes Grinsen und ich schluckte trocken.
»Hey Süße. Bist du ganz allein unterwegs?«, rief er mir zu und setzte sich gleich darauf in Bewegung.
Mit seinen beiden Kumpels im Schlepptau kam er direkt auf mich zu. Mein Herz pochte gegen meine Rippen und ein mulmiges Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus.
Oh Mann, das war gar nicht gut.
Schon waren die drei an der Haltestelle angekommen und ließen sich links und rechts von mir auf die Bank fallen. Der Typ mit dem Pferdeschwanz rülpste laut. Angewidert verzog ich das Gesicht.
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Romance⩥ ROMANCE || WATTYS SHORTLIST 2022 ⩤ Die achtzehnjährige Lil ist alles andere als begeistert darüber, dass sie den mysteriösen David für die Abschlusszeitung interviewen soll. Schließlich hält sie den unnahbaren Einzelgänger, der mit niemandem rede...