45 ~ Verkleidung

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Mit einem breiten, widerlichen Grinsen streckte der schmierige Typ mit dem Pferdeschwanz seinen tätowierten Arm nach mir aus. Die beiden anderen ekelhaften Kerle standen neben ihm, starrten mich an und lachten höhnisch. Plötzlich war da noch jemand. Erstaunt riss ich die Augen auf, als ich David erkannte. Eine Welle der Erleichterung überflutete mich, aber sie währte nur kurz. Denn er stellte sich zu den drei Typen, die mir gegenüberstanden. Auf seinen Lippen erschien ebenfalls ein breites Grinsen, aber seine Augen waren eiskalt. 

Ich fröstelte, mein Atem ging immer schneller und mein Herz raste ängstlich, bis mich auf einmal eine angenehme Wärme umfing.

»Alles ist gut«, sprach eine tiefe, dunkle Stimme leise an meinem Ohr. Geborgenheit umhüllte mich, ein betörender Duft beruhigte mich und ich spürte, wie sich meine Muskeln entspannten und ich wieder in einen tiefen Schlaf sank.

Seit dem Albtraum musste einige Zeit vergangen sein, doch als ich langsam wach wurde, war alles mit einem Schlag wieder da.

Der schreckliche Traum drängte sich unaufhaltsam in mein Bewusstsein, zusammen mit all den Entdeckungen, die Sara und ich in der vergangenen Nacht gemacht hatten.

Wir hatten noch weiter recherchiert, abstruse Theorien aufgestellt und über alles gesprochen, bis wir um neun Uhr aufstehen mussten, weil meine Freundin und ihre Mutter einen Friseurtermin hatten. Geschlafen hatten wir keine Sekunde lang.

Saras Mutter hatte mich auf dem Weg zum Friseur zu Hause abgesetzt, und ich war mit der fadenscheinigen Ausrede, dass ich mich nicht gut fühlte und wahrscheinlich krank werden würde, sofort in mein Zimmer gerannt. Der besorgte Blick meines Vaters war mir gefolgt. Ich hatte die Fensterläden geschlossen, mich aufs Bett geworfen und mich in den Schlaf geweint.

Obwohl das alles gerade mit niederschmetternder Wucht in mein Gedächtnis zurückkehrte, fühlte ich mich seltsam zufrieden und leicht. Als wäre ich high, auf eine gute Art, ohne jegliche Nebenwirkungen. Ich lag auf der Seite, die Augen noch immer geschlossen, spürte hinter mir eine angenehme Wärme, und in der Luft hing ein vertrauter Duft nach Wald und diesem bestimmten Aftershave, der mich benebelte, völlig einlullte und irgendwie glücklich machte.

Das Gehirn war schon ein fantastisches Gebilde. Es gaukelte mir vor, mich an einen warmen Körper zu schmiegen und zauberte sogar den geliebten Duft von David in mein Zimmer.

Am liebsten wäre ich für immer so liegen geblieben. Ein leises Seufzen verließ meine Lippen, denn ich wusste, dass der Schmerz und die Enttäuschung mich mit voller Kraft erwischen würden, sobald diese Hirngespinste verflogen waren. 

Als solche tat ich meine Wahrnehmungen nämlich ab, und zwar genau so lange, bis sich hinter mir etwas bewegte. Das war nun doch zu realistisch, um noch ein Traum zu sein.

Flatternd öffnete ich meine Augenlider. Im Zimmer war es dämmrig, denn die Fensterläden waren geschlossen und ließen nur durch ein einige schmale Spalte ein paar Streifen Sonnenlicht herein. Mein Blick wanderte an meinem Körper entlang. Ein Arm war um meine Taille geschlungen. Ein Arm, der mit einem hochgekrempelten weißen Hemd bekleidet war. Mein Herz setzte kurz aus und begann dann heftig zu klopfen.

Das konnte doch nicht sein! Das konnte er doch nicht sein! Vorsichtig schob ich mich ein Stück von dem warmen Körper weg, drehte mich auf den Rücken, schließlich auf die andere Seite und ...

... blickte in Davids schlafendes Gesicht.

Ich runzelte die Stirn. Das hier war so real, das konnte nicht nur meiner Fantasie entsprungen sein, denn wenn es so wäre, dann wäre ich inzwischen völlig verrückt.

Sein Arm lag deutlich spürbar schwer auf meiner Taille. Er trug ein weißes Hemd und eine schwarze Hose. Das Outfit erinnerte mich verdächtig an das, welches er gestern auf diesem Insta-Post getragen hatte.

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