Etwas später standen David und ich gemeinsam vor unserem grünen Gartentor. Auf dem Heimweg hatten wir nicht viel gesprochen, aber wie schon am Samstag hatte er darauf bestanden, mich bis nach Hause zu begleiten. Als er mir meine Tasche in die Hand drückte, berührten sich kurz unsere Fingerspitzen, und mit diesem winzigen Hautkontakt baute sich wieder diese seltsame Spannung zwischen uns auf.
Es war zum Verrücktwerden. Wie sollte man so einen klaren Verstand behalten?
Schnell zog ich meine Hand mitsamt der Tasche zurück und trat einen kleinen Schritt nach hinten. David entging das nicht, denn er schüttelte den Kopf und presste kurz die Lippen zusammen.
»Okay, können wir noch darüber sprechen, wie es mit uns beiden weitergeht, Schneewittchen?« Sein Blick ruhte durchdringend auf mir und eine schwere Last legte sich auf meine Brust, denn damit schnitt er das Thema an, vor dem ich mich so fürchtete. Ich hatte gehofft, mich vielleicht erst mal davor drücken zu können.
Denn ich hatte absolut keine Ahnung, wie es mit uns weitergehen sollte.
›Diese Freundschaftssache hat ja nicht so gut funktioniert‹, hielt es meine kleine innere Stimme nach langer Funkstille für angebracht, sich an dieser Stelle zu Wort zu melden. ›Also riskier was und gib ihm eine Chance.‹
Ein Teil von mir wollte das sogar. Ein Teil von mir wollte ihm unbedingt um den Hals fallen und ihm sagen, dass wir es einfach zusammen versuchen sollten, ganz egal, welche Umstände auch immer dagegen sprachen. Aber genau genommen wusste ich nicht einmal, ob er das überhaupt wollte. So richtig ausgesprochen hatte er das noch nie.
Außerdem gab es da noch diesen anderen Teil von mir, der Zweifel hatte, Bedenken und vielleicht sogar Angst. Und dieser Teil war im Moment bei weitem größer.
Ich musste mich in Ruhe damit auseinandersetzen. Gerade war mein Kopf so voll mit wild herumwirbelnden Gedanken, dass ich dazu nicht in der Lage war. Ich brauchte Zeit dafür.
»Du kommst doch morgen wegen des Interviews zu mir. Können wir dieses Gespräch bitte auf morgen verschieben, David?« Der Klang meiner Stimme und mein Blick mussten ziemlich flehentlich gewirkt haben, denn sie entlockten ihm ein trauriges Lächeln.
»Ja, na klar. Hey, keine Angst. Ich will dich zu nichts drängen oder so.« Bei seinen Worten atmete ich deutlich hörbar erleichtert auf, woraufhin er wieder den Kopf schüttelte und die Augenbrauen zusammenzog. »Wofür hältst du mich eigentlich? Hast du etwa Angst vor mir?«
Vielleicht? Zumindest vor dem, was er ständig mit meinem Verstand anstellte. Und davor, dass ich ihm komplett verfallen würde ohne überhaupt zu wissen, wer er wirklich war.
Noch während ich das dachte, hörte ich mich schnell »Natürlich nicht« sagen.
Zu schnell wahrscheinlich. Er sah mir direkt in die Augen, mit diesem gewissen Blick, der mir das Gefühl gab, dass ich nicht die kleinste Kleinigkeit vor ihm verheimlichen konnte. Rasch drehte ich mich weg und griff nach der Klinke des Gartentors.
»Du brauchst echt keine Angst vor mir zu haben, Schneewittchen.«
Davids Tonfall klang plötzlich amüsiert, was mich dazu veranlasste, mich umzudrehen und ihn verwundert anzusehen. Seine ständigen Stimmungswechsel waren wirklich gewöhnungsbedürftig.
Ein breites Grinsen lag auf seinem Gesicht. »Gegen dich hätte ich sowieso keine Chance. Wenn ich nur daran denke, wie du diesen Kerl am Freitag mit einem einzigen Tritt umgehauen hast.« Auch auf mein Gesicht schlich sich ein Grinsen, ich konnte gar nichts dagegen tun.
»Ach was? Hast du etwa Angst vor mir, David?«, fragte ich belustigt. Es war lächerlich, er war ein ganzes Stück größer und sehr viel muskulöser als ich.
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Entscheide dich, Schneewittchen! ✓
Romance⩥ ROMANCE || WATTYS SHORTLIST 2022 ⩤ Die achtzehnjährige Lil ist alles andere als begeistert darüber, dass sie den mysteriösen David für die Abschlusszeitung interviewen soll. Schließlich hält sie den unnahbaren Einzelgänger, der mit niemandem rede...