49 ~ Unwürdig

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Elf Jahre zuvor
Schlossgut Heiligenburg

Es war echt cool. Wir saßen in einem großen, schwarzen, ziemlich teuer aussehenden Auto, das uns vom Flughafen abgeholt hatte. Genau so eins, wie man es ab und zu in diesen Promi-Sendungen sah, die Oma Maria oft guckte. Limousine hatte mein Vater es genannt. Mit einem Mann in Uniform als Fahrer, der uns sogar die Türen geöffnet hatte.

Auch wenn ich Mamá, Evi und die anderen die ganze Zeit vermisste, irgendwie war alles trotzdem total spannend und ich freute mich darauf, endlich meinen deutschen Opa kennenzulernen.

Vielleicht würde er ja mit mir spielen? Mein Vater tat das nämlich nicht. Er sagte mir nur die ganze Zeit, was ich alles falsch machte und noch nicht gut genug konnte. Dabei gab ich mir wirklich Mühe.

Ich zupfte am Kragen meines hellblauen Poloshirts, denn der oberste Knopf schnürte mir fast die Luft ab. Heimlich öffnete ich ihn, wusste aber, dass ich ihn sofort wieder schließen musste, sobald mich der scharfe Blick meines Vaters traf. In meinem Koffer waren lauter nagelneue Klamotten. Keine Ahnung, wer sie mir gekauft hatte und wo meine alten Sachen geblieben waren.

Wir bogen in eine gepflasterte Straße ein, links und rechts standen jede Menge Bäume. Meine Augen wurden immer größer, als wir auf ein riesiges Gebäude zufuhren. »Das ist Schloss Heiligenburg, der Familiensitz«, erklärte mein Vater.

Meine Augen wurden noch größer, als wir vor dem alten, enorm großen Haus anhielten. Es sah aus wie eines dieser Schlösser aus dem Märchenbuch, aus dem Mamá mir manchmal abends vorlas. Gehörte dieser gigantische Kasten wirklich meinem Opa?

Was würde Joa dazu sagen? Und die Jungs vom Fußball? Denen musste ich sofort alles erzählen, wenn ich wieder zu Hause war.

Ein Mann in einem dunklen Anzug kam aus der breiten, hohen Doppeltür. Der schaffte es sogar, ein noch starreres Gesicht zu machen als mein Vater. Ich hätte nicht gedacht, dass das jemand hinkriegen würde. Er begrüßte mich mit einer Verbeugung und nannte mich »junger Herr«, was ich ziemlich komisch fand. Da meine Mamá mir immer gesagt hatte, ich solle zu allen Leuten freundlich sein und sie nett begrüßen, antwortete ich mit »Buen día, mi amigo.« Seltsamerweise bekam ich dafür einen bösen Blick von meinem Vater. Ich wusste nicht genau, was ich wieder falsch gemacht hatte. Vielleicht war es dieser blöde obere Knopf? Schnell machte ich ihn wieder zu.

Wir folgten dem Anzugmann in das steinalte Haus und ich sah mich staunend um. Es war voller Bilder, dicker Teppiche, verschnörkelter Möbel und schwerer Vorhänge. Riesige funkelnde Kronleuchter hingen von der Decke und glitzerten im Sonnenlicht, das durch die großen weißen Sprossenfenster hereinfiel. Ob das wohl alles echte Diamanten waren?

Mein Opa musste eine wahnsinnig große Familie und massenhaft Pesos haben, wenn ihm so ein riesiges Schloss gehörte.

Mit einer steifen Verbeugung öffnete der Mann, der uns begrüßt hatte, eine hohe weiße Tür mit goldenen Blumen und Blättern. 

Und da war er. Dieser Mann musste mein Opa sein.

Er hatte einen schwarzen Anzug mit einer dunklen Krawatte an und er hatte genau die gleichen hellen grauen Augen wie mein Vater und ich. Aber seine Haare waren schon weiß, wie die von Opa Juan. Leider sah er mich genauso starr an, wie mein Vater es meistens tat, aber daran war ich gewöhnt. Nichts, was mich mehr aus den Socken haute.

Mein Opa saß in einem hohen Sessel hinter einem großen Schreibtisch aus dunklem Holz. Zu dem Platz, an dem der Schreibtisch stand, musste man eine Stufe hinaufsteigen, also war mein Großvater ziemlich hoch oben. Bei den Jungs vom Fußball war ich immer einer der Größten gewesen, aber jetzt kam ich mir irgendwie ziemlich klein vor. Als wäre ich höchstens fünf, obwohl ich schon fast neun war.

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