38 ~ Versprechen

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Zitternd vor Aufregung lehnte ich noch immer mit dem Rücken an der Tür zur Veranda und versuchte zu begreifen, was da gerade passiert war. Jemand war gekommen, mit dem David nicht gerechnet hatte, der ihn aber offensichtlich in Alarmbereitschaft versetzt hatte. So sehr, dass er mich mit barschen Worten ins Haus geschickt hatte.

Was, wenn dieser Besucher gefährlich war? Vielleicht waren es sogar mehrere? In meiner Fantasie spielten sich sofort die verschiedensten Horrorszenarien ab, die meist darauf hinausliefen, dass David am Ende blutüberströmt vor dem Haus lag.

Ich musste sofort herausfinden, was da los war. Vielleicht brauchte er ja meine Hilfe? Schließlich hatten wir schon einmal zusammen drei Fieslinge überwältigt.

Mit dem Gedanken an diesen gemeinsamen Triumph im Hinterkopf atmete ich tief durch und versuchte dann, meine Angst hinunterzuschlucken und meine wackeligen Beine in den Griff zu bekommen. David hatte mir gerade gesagt, ich wäre mutig, also würde ich das jetzt auch sein.

Ohne etwas von meiner Umgebung wahrzunehmen, durchquerte ich mit unsicheren Schritten den Raum und ging geradewegs auf eines der gegenüberliegenden Fenster zu. Vorsichtig schob ich die hellen Vorhänge ein winziges Stück zur Seite und wagte einen Blick durch die blitzblanke Scheibe.

Doch mit dem, was ich dort zu sehen bekam, hatte ich absolut nicht gerechnet. Ich hatte ein paar finstere Gestalten erwartet, die David in irgendeiner Weise bedrohten. Stattdessen stand er nur wenige Meter von mir entfernt mit einer Frau. Einer kleinen, zierlichen Frau, die auf mich alles andere als bedrohlich wirkte.

Warum wollte er bloß, dass ich diese Frau nicht sah? Oder sollte sie mich nicht sehen?

Mit zusammengezogenen Augenbrauen beobachtete ich die Szene, die sich vor meinen Augen abspielte. Die Frau trug ein weißes, knöchellanges Sommerkleid mit kurzen Ärmeln aus einem leichten, knittrigen Stoff, dessen Oberteil bestickt war. Es sah aus wie ein Blumenmuster. Ihr dunkles Haar trug sie als modischen Longbob. Als ich mir ihr Gesicht etwas näher angesehen hatte, schätzte ich sie auf Mitte vierzig.

Sie war in eine hitzige Diskussion mit David vertieft, während der ihre Hände unablässig ausdrucksvolle Gesten formten und hin und wieder auf ein paar Büsche in einiger Entfernung vom Haus deuteten. David wirkte äußerlich ruhiger, aber seine ganze Körperhaltung verriet seine Anspannung und sein Gesicht hatte diese ausdruckslose Maske angenommen, die er jederzeit abrufen konnte.

Ich wurde aus dieser Sache wieder einmal überhaupt nicht schlau. Kaum hatte ich die Antwort auf eine Frage bekommen, tauchten dafür zwei neue auf.

Warum hatte David mich ins Haus geschickt? Von dieser Frau sollte doch wohl keine Gefahr ausgehen. Oder hatte er vielleicht mit jemand anderem gerechnet?

Ich musste unbedingt mehr erfahren, also fasste ich vorsichtig nach dem Griff und öffnete das Fenster einen Spalt weit.

»Bist du dir ganz sicher?«, fragte er gerade.

»Nein. Aber dieses Auto stand zwei Tage lang vor meiner Wohnung und die ganze Zeit saßen Männer darin. Und glaub mir, es ist mir heute gefolgt. Ich denke, ich habe diese Typen abgehängt. Das hoffe ich jedenfalls. Und ich schwöre dir, da war wirklich gerade ein Mann, der sich hinter den Büschen da drüben versteckt hat und dann zwischen den Bäumen verschwunden ist, als er mich gesehen hat.«

Die Frau hatte sich nach rechts umgedreht und zeigte erneut auf dieselbe Gruppe von Sträuchern.

David schüttelte den Kopf, fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und ballte sie anschließend zu Fäusten. »Ich hätte nicht gedacht, dass er so was macht. Verdammt, ich hab ihn schon wieder unterschätzt. Wie dumm kann man sein?« Aufgebracht trat er mit dem Fuß in die Wiese, dass die Grashalme nur so flogen. Dann griff er in die Innentasche seiner Lederjacke und zog ein Päckchen heraus. Ich atmete scharf ein, denn es sah aus wie eine Zigarettenschachtel.

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