56 ~ Showdown

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Zwei Tage zuvor
Donnerstag Nachmittag
Hotel Adlon, Berlin

»Victor, wie schön, dass du es doch noch einrichten kannst.« Ohne mir einen Blick zu widmen, zog mein Vater seine goldene Taschenuhr aus seiner dunklen Weste und warf mit hochgezogenen Augenbrauen einen Blick darauf. »Du bist exakt elf Minuten zu spät«, stellte er mit diesem vorwurfsvollen Unterton fest, der mir nur allzu bekannt war, und runzelte missmutig die Stirn.

Ich biss die Zähne zusammen. Seine verdammte Nachricht hatte mich heute Morgen so spät erreicht, dass es von vornherein fast unmöglich gewesen war, es pünktlich zu dem von ihm angeordneten Treffen zu schaffen. Ich hatte alles dafür getan, um es doch noch hinzubekommen, und es hätte sogar geklappt, wenn die Ampeln nur etwas besser mitgespielt hätten.

Eine bissige Antwort lag mir auf der Zunge, aber ich schluckte sie hinunter. Sofort auf Konfrontationskurs zu gehen war keine gute Idee, wenn ich bei ihm etwas erreichen wollte.

»Tut mir wirklich leid, dass du warten musstest«, quetschte ich stattdessen hervor. Der ironische Unterton war kaum hörbar, aber es war klar, dass er meinem Vater trotzdem nicht entging. Er hatte ein phänomenales Gespür für feinen Nuancen.

Wieder zuckten seine Augenbrauen nach oben, als er mir nun doch einen Blick gönnte. Sein Gesicht verzog sich sofort zu einer missbilligenden Grimasse, während er mein Outfit von oben bis unten unter die Lupe nahm. Ich trug dunkelblaue Jeans und ein graues T-Shirt.

Mir war klar gewesen, dass ihm das nicht gefallen würde, aber ich hatte beim besten Willen keine Zeit gehabt, mich auch noch umzuziehen. Ich hatte mir nicht einmal die paar Minuten Zeit genommen, um Lil eine Nachricht zu schreiben, wie ich es heute Morgen eigentlich vorhatte. Stattdessen hatte ich alles stehen und liegen lassen, schnell das Nötigste zusammengepackt und mich sofort ins Auto gesetzt.

Er räusperte sich. »Dass sie dich in diesem Zustand ins Hotel gelassen haben ... Es grenzt an ein Wunder. Ich nehme an, du hast einen Smoking dabei?« Noch während er sprach, wandte er sich ab, schob die Hände in die Taschen seiner dunklen Hose und blickte aus dem Fenster seiner luxuriösen Hotelsuite.

»Natürlich. Ganz so, wie du es angeordnet hast. Darf ich fragen, wohin wir heute Abend gehen?«

»Sicherlich darfst du das. Heute treffen wir uns nur mit ein paar Geschäftsfreunden zum Dinner, aber morgen Abend besuchen wir eine Wohltätigkeitsveranstaltung, den Goldenen Ball. Und du darfst mir danken, denn ich habe für beide Termine eine angenehme Begleitung für dich organisiert. Du wirst dich sicher freuen. Es ist eine äußerst passende und sehr hübsche junge Dame, die du bereits kennst und die beim Dinner deine Tischdame sein wird.«

Skeptisch verengte ich meine Augen zu schmalen Schlitzen. Wenn es etwas gab, worauf ich im Moment absolut keine Lust hatte, dann war es eine gekünstelte High Society Lady, die mich mit belanglosem Smalltalk zutextete. Wer auch immer sie war, eine andere Begleitung als mein Schneewittchen kam sowieso nicht in Frage. Ich würde auf jeden Fall alleine gehen.

»Tut mir leid, aber ich bin morgen Abend bereits verabredet und für heute brauche ich ganz sicher keine Tischdame.«

Ohne jede Hektik drehte sich mein Vater wieder zu mir um und musterte mich mit kalten Augen. »Mach dich nicht lächerlich, Victor. Natürlich brauchst du eine Begleitung. Darüber gibt es keine Diskussion. Es handelt sich um Katharina Becker, die übrigens eine sehr geeignete Partnerin für dich wäre, solltest du dich demnächst mit dem Gedanken an eine feste Bindung tragen. Abgesehen davon wird sie an der gleichen Universität in den USA studieren wie du. Du wirst also genügend Gelegenheit haben, sie besser kennenzulernen und dich mit diesem Gedanken anzufreunden.«

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