17. Eine meiner Geheimwaffen

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Schreie. Laute Schreie. Aber von wem? Wer schrie da? Levi riss die Augen auf und hielt im nächsten Moment den Arm schützend vor sein Gesicht. Die ersten Sonnenstrahlen blendeten ihn. Es war nicht Chagaras Rücken gewesen, sondern nur die Lehne seines Sessels, die er spürte. Enttäuscht schloss er wieder die Augen und lauschte seinem rasenden Herzen. Er war es wieder gewesen. Er hatte so geschrien. Seitdem sie zurück waren, plagte ihn dieser immer wiederkehrende Alptraum.

Er war zurück im Schneesturm, rappelte sich vom kalten und harten Boden auf und spürte kurz darauf Chagaras Rücken. Sie flohen gemeinsam, doch kurz darauf war er allein. Er suchte sie im Schneechaos. Schrie ununterbrochen ihren Namen. Erfolglos. Plötzlich stolperte er, schluckte den kalten Schnee und als er sich hustend und keuchend wieder aufrappelte, bemerkte er sie. Sie lag neben ihm. Ihre Augen weit aufgerissen. Blut tropfte aus ihrem Mund. Ihr Körper war zerfetzt. Kraftlos sank er auf seine Knie und begann zu schreien. Solange, bis er immer aufwachte.

Levi atmete tief ein, stand auf, ging in sein Badezimmer und wusch sich den Schweiß von der Stirn. Seit acht Tagen ging das so. Als Nächstes würde er in den Stall gehen und ihre Pferdebox aufsuchen. War sie weiterhin leer? Levi würgte. Mit jedem weiteren Tag sank seine Hoffnung sie wiederzusehen. Als er an ihr letztes Gespräch dachte, brach die Magensäure aus ihm heraus. Warum hatte er ihr all den Scheiß an den Kopf geknallt?

Er war in der Unterwelt geboren worden, er war kriminell gewesen und jetzt als Mitglied des Aufklärungstrupps hatte sein Leben endlich eine sinnvolle Struktur erhalten – eventuell auch nur von kurzer Dauer. Aber das hatte er Erwin zu verdanken. Und dann kam plötzlich Chagara. Und er? Er konnte mit Verbrechern umgehen, mit Titanen, aber nicht mit Chagara. Mit jedem Treffen hatte sie seine dunkle Welt mehr ins Chaos gestürzt. Levi konnte mit all diesen Gefühlen nicht umgehen. Er schien sie zu mögen. Aber was machte man dann? Und was machte man dann in dieser beschissenen Welt? Vor allem, wenn beide zum Aufklärungstrupp gehörten? Sollte er jeden Tag kotzen, weil er Angst hatte sie zu verlieren? Oder... hatte er sie schon verloren?

„Sie haben andere Trainings. Sie wurden extra für diesen Scheiß ausgebildet", murmelte er – wie so oft in den vergangenen Tagen – gebetsmühlenartig vor sich hin und hing sein benutztes Handtuch auf.

Wie es ihr wohl ging? Hatte sie genug Essen? Wenigstens war der Schnee so gut wie weg. Vor vier Tagen waren die Temperaturen endlich gestiegen. Levi lauschte an der offenen Tür. Niemand schien sich auf dem Gang aufzuhalten. Seit acht Tagen versuchte er so gut wie es ging, jeden zu meiden. Besonders aber Erwin und Peter. Er hatte keine Ahnung, wie er sich den Beiden gegenüber verhalten sollte. Immer wenn er Peter sah oder mit ihm im Zimmer des Kommandanten sein musste, wollte er zuschlagen. Warum hatte er Chagara weggeschickt? Warum ausgerechnet sie? Und bei Erwin war es nicht besser. Mochte er Chagara? Warum konnte er den Kommandanten nicht einfach fragen? Weil er die Antwort nicht hören wollte. Weil er Angst davor hatte.

Als er nach draußen trat, sah er in der Ferne eine größere Gruppe aus dem Trainingswald kommen. Es mussten Peters Soldaten sein. Hatten sie wieder nachts trainiert? Bewegten sie sich vor den Mauern nachts fort und schliefen am Tag? „Vermutlich", dachte Levi. „Was du wohl gerade machst?"

Er warf einen letzten Blick auf die zurückkehrenden Soldaten und betrat schließlich den Stall. „Dass Titanen keinen Verdauungstrakt haben, wissen wir dank ihnen. Sie haben nachgeschaut", hatte Erwin gesagt. Levi hatte in den vergangenen Tagen Peters Truppe studiert. Der Großteil von ihnen war von riesiger Statur. Kaum kleiner als Erwin und fast so groß wie Mike. Wer also war den Hals eines Titanen heruntergeklettert? Es konnte nur Chagara gewesen sein. Also musste sie schon länger dabei sein. Und somit auch älter sein als sie aussah.

Wieso blickte er durch einen Nebel in die leere Pferdebox? Levi wischte sich über die Augen und starrte auf das Namensschild – „Apple". Levi schüttelte den Kopf. „Du bist echt ein Idiot, Chagara. Das ist doch kein Name für ein Pferd", murmelte er traurig vor sich hin und betrat die Box. „Eigentlich bist du ein Riesen-Idiot. Warum machst du nur so einen beschissenen Job, Chagara?" Er lehnte sich gegen die Holzwand und starrte ins Stroh. „Kannst du nicht endlich zurückkommen? Ich geb dir auch alle meine Uniformen und kauf dir Schokolade. Und ich werd nicht mehr lügen. Oder dich anschreien. Und dir nie wieder weh tun."

Chagara - Chaos in der Dunkelheit (Levi x OC FanFic / AttackOnTitan)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt