53. „Ob Verstärkung kommt?"

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Es war ein kühler Morgen. Henry Dober hatte vorsorglich seinen Schal um den Hals geschlungen. Er war eins der letzten Handarbeiten seiner geliebten Frau gewesen. Als eine Gruppe älterer Männer an ihm vorbeiging, hob der Buchladenbesitzer seinen Hut zum Gruß. Sie sahen schlecht aus. Der Lebensfunke in ihnen schien so gut wie erloschen zu sein. Seit der Ankunft der Flüchtlinge hatte er keinen stillen Morgenspaziergang mehr gehabt. Früher war er fast allein durch die Straßen geschlendert. Nur die Händler waren bereits unterwegs gewesen. Jetzt begegneten ihm Menschen, die zu ihrer Schicht in der Landwirtschaft unterwegs waren, Menschen, die auf der Suche nach Ruhe ihre überfüllte Flüchtlingsunterkunft verlassen hatten, Menschen, die sich für die Essensausgabe anstellen wollten und Soldaten, die Essen verteilten und für Ruhe sorgten ... Oder? „Mmh." Henry Dober machte sich um den Frieden sorgen. Denn ausgerechnet die, die für seine Aufrechterhaltung zuständig waren, schienen ihn mittlerweile mit Füßen zu treten. Immer öfter hörte er von Vorfällen, bei denen die Soldaten der Militärpolizei ohne Vorwarnung brutal vorgegangen waren.

Als er um die Ecke bog verschwanden jedoch seine Sorgenfalten. Levi Heichou stand vor einem Geschäft. Der ältere Herr schmunzelte, als er Levis Augen sah. „Wie ein Kind an Weihnachten", dachte er und räusperte sich, worauf der Soldat reagierte.

„Guten Morgen, Herr Dober", begrüßte er den Buchladenbesitzer.

„Guten Morgen, Levi. Zeit für eine Tasse Tee?", fragte Henry Dober.

Aber der Soldat schüttelte den Kopf. „Ein anderes Mal gern, aber ich muss zum Training zurück."

„Schade. Aber grüß Ayumi von mir, ja? Und kommt mal wieder vorbei", antwortete Henry Dober und hob zum Abschied seinen Hut.

Levi nickte und warf einen letzten Blick durch das Schaufenster. Als er sich umdrehte, wäre er beinahe mit zwei Jugendlichen zusammengestoßen. Doch der Soldat sagte nichts. Die schmutzige Kleidung der Jungs verriet ihm, dass sie zu den Flüchtlingen gehören mussten. Jeder hielt ein kleines Brot in der Hand. Es musste für den Tag reichen. „Oder sogar für länger."

„Verzeihung", stammelte der Dunkelhaarige und drückte sein Brot enger gegen seine Brust.

Levi schüttelte den Kopf. „Nichts passiert," antwortete er knapp. Ihm war der flüchtige, aber interessierte Blick des blonden Riesen nicht entgangen. Mit versteinerter Mimik hatte er Levis Emblem ins Visier genommen. „Ob er sich nur vergewissern wollte, dass ich nicht von der Militärpolizei bin?", überlegte Levi und sah den Beiden hinterher. Aufgrund seiner Größe und seines muskulösen Körperbaus hätte Erwin den blonden Jugendlichen sicherlich angesprochen, ob er nicht zum Militär und nach der Ausbildung zum Aufklärungstrupp kommen möchte. „Sind die Beiden immer noch im Wachstum?" Für eine Sekunde verspürte Levi Neid. Doch kaum waren der muskulöse Blonde und der schlaksige Dunkelhaarige um die Ecke verschwunden, kamen die Sorgen zurück. „Ob Erwin mittlerweile aufgewacht ist?", dachte Levi, während er seinen Weg fortsetzte.

Allein zurück blieb Henry Dober, der neugierig das Geschäft studierte. „Er hatte dieses Leuchten in den Augen. Wie ich, wenn ich neue Bücher vor mir liegen habe", dachte der ältere Herr, während er seinen Blick über die verschiedenen Teesorten schweifen ließ, die sich im Regal hinter dem Ladentisch befanden. „Warum war sein letzter Blick in den Laden so traurig? Ist eine Teesorte ausgegangen? Seine Lieblingssorte?" Aber Henry Dober konnte keine fehlende Teesorte feststellen. „Oder ...", Henry Dobers Gesicht strahlte, „hätte er auch gerne einen eigenen Teeladen?" Vergnügt suchte er nach den Münzen in seiner Jackentasche. „Ja", er nickte. „So muss es sein. Dann war das Buch, das Ayumi bei mir gekauft hat, sicherlich für ihn. Das ergibt Sinn", murmelte er vor sich hin. Er wollte sich noch eine Zeitung kaufen, bevor er seinen Laden öffnete. „Oh!" Plötzlich blieb Henry Dober stehen. „Ist das überhaupt möglich für ihn?" Der Buchladenbesitzer runzelte die Stirn. Anscheinend hatte er eine neue Herausforderung gefunden: Die Klärung dieser Frage.

Chagara - Chaos in der Dunkelheit (Levi x OC FanFic / AttackOnTitan)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt