52. „Ob ich auch eines Tages schnitzen muss?"

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Der letzte Besucher der Morgenmesse bedankte sich beim Pfarrer für seine Predigt und schritt dann durch das Tor nach draußen. „Mh." Peter sah aus der dunklen Kirchenecke zu, wie der Pfarrer sich in einen für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Raum begab. „Er wird sich sicherlich umziehen", dachte er und stupste Steve an. Sein Kamerad hatte neben ihm auf der Bank gedöst. Erschrocken blickte er sich um.

„Schon vorbei?", fragte er und hastete hinter Peter her. „Und jetzt?"

Peter zuckte mit den Schultern. „Ich hab keine Ahnung", begann er leise, während er durch den Mittelgang der leeren Kirche zum Ausgang lief. „Ob das hier überhaupt sinnvoll ist und worauf wir –" Schreie von draußen unterbrachen Peter. Gefolgt von Steve stürmte er hinaus.

„Oh nein!" Seine Befürchtung war Realität geworden. Die Geflüchteten aus dem Gebiet der Mauer Maria arbeiteten auf den Feldern. Und trotzdem, die Lebensmittel reichten nicht. Das sich der Ertrag nicht in den ersten Monaten erhöhen würde, war klar. Aber die durch das Militär verteilten Lebensmittel wurden immer weniger. Die harte Arbeit und das geringe Essen schienen nun ihren Höhepunkt erreicht zu haben.

Peter und Steve sahen einen jungen Mann Mitte Zwanzig regungslos auf dem Boden liegen. „Er wollte doch nur ein bisschen Brot für seinen Sohn haben. Der Junge stirbt sonst", schrie ein anderer junger Mann, der sich seiner Festnahme durch Soldaten der Militärpolizei widersetzen wollte. Es brauchte zwei Soldaten, die seine Arme festhielten. „Aber ohne Vater stirbt der Junge jetzt auch. Seine Mutter ist von Titanen gefressen worden. Wo wart ihr da? Huh? Als die Titanen kamen?" Der Festgenommene lachte bitter auf. Als Antwort schlug ihm ein weiterer Soldat der Militärpolizei in den Magen. Mehrmals.

Peter ballte seine Hände zu Fäusten.

„Wenn du dich jetzt einmischt, kriegt Erwin Ärger", flüsterte Steve seinem ehemaligen Kommandanten zu.

Peter nickte und sah zu, wie die Soldaten den bewusstlosen Mann wegschleiften. „Woher kenn ich ihn?", überlegte Peter, als er den dritten Soldaten musterte. Der Dunkelblonde bückte sich und hob ein Messer auf. „Gibt es Zeugen?", fragte er in die Menge, während er das Messer in die Luft hielt. Blut tropfte von der Klinge. „Der Tote wollte Mitglieder der Militärpolizei mit dem Messer angreifen", begann er und hielt sich mit seiner freien Hand an seinem Gürtel fest. Es war ein Wunder, dass der Soldat bei dem Bauchumfang überhaupt seine Hose zuknöpfen konnte. Genauso verwunderlich war es gewesen, dass die Hose nicht gerissen war, als er in die Hocke gegangen war. Seine Figur war für einen Menschen hinter den Mauern eine Seltenheit. „Jeder der dies bestätigen kann, erhält ein Stück Brot."

Peter schüttelte angeekelt den Kopf.

„Glaubt der im Ernst, die lügen und opfern sich gegenseitig?", fragte Steve ungläubig.

„Der Tod ihres Mitmenschen wird jetzt dafür gesorgt haben, dass sie geschlossen zusammenstehen. Sie gegen das Militär. Wenn diesen Hass irgendeiner anstachelt, wird es noch mehr Tote geben. Wenn wir zurück im Hauptquartier sind, gebe ich Erwin Bescheid. Er sollte keine jungen Soldaten mehr zur Brotverteilung einteilen", antwortete Peter und sah zu, wie ein Großvater einen verängstigten Jungen an die Hand nahm und wegbrachte. Ein dunkelhaariges Mädchen mit emotionslosem Gesichtsausdruck folgte ihnen und zog dabei einen weiteren Jungen hinter sich her. „Wie viel Wut er in so jungen Jahren schon in sich haben muss", dachte der ehemalige Kommandant, als er die Gesten des blau-grünäugigen Jungen studierte.


„Um Himmels Willen", hörten sie den Pfarrer der Morgenmesse neben sich sagen.

„Habt Ihr eventuell ein Tuch mit dem wir den Toten zudecken können?", fragte Peter. „Kinder sollten das nicht sehen."

Chagara - Chaos in der Dunkelheit (Levi x OC FanFic / AttackOnTitan)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt