Kapitel 38: Untergetaucht

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Ein paar Tage nach ihrer Ankunft in Santa Clarita Valley, befanden sich Victor und Gale in ihrem Motel. Das Tal lag nordwestlich von Hollywood und war im Kontrast zu den angrenzenden Sehenswürdigkeiten unscheinbar. Umgeben von einer tristen Hügellandschaft erinnerte die Gegend an eine besiedelte Steppe. Die Dächer der Häuser verschmolzen scheinbar mit den rötlichen Felsen, die das Tal säumten.

Gale hat Remus' Auto abseits geparkt und mit einer Plane verdeckt. Das war nicht die beste Lösung, aber für den Moment musste sie reichen. Weil sich die Nachrichten mit jedem Tag verschärften und immer mehr Leute nach ihnen suchten, verließen sie das Zimmer kaum. Der Plan, das Tattoo entfernen zu lassen, stand hinten an, sie würden ihn angehen, sobald sich die Lage beruhigte.

Victor lag auf dem Bett und lenkte sein Gewissen mit Fernsehen ab. Die Raumluft war trocken und roch nach Teppichreiniger. Er zappte durch das Fernsehprogramm, immer wieder tauchten Bilder von ihm in den Nachrichten auf. In den drei Wochen, die sie nun schon unterwegs waren, haben sich einige Gruppen gebildet, die den Strand oder die Wälder von Malibu nach ihm absuchten.

Gale konnte nicht durchgehend ein Mensch bleiben. Wenn er zu erschöpft war, verwandelte er sich und ruhte sich auf dem hohen Schrank aus, welcher gegenüber vom Bett stand. Damit er es dort gemütlicher hatte, lag eines der beiden Kopfkissen auf dem Schrank. Für den Fall, dass er schnell flüchten musste, ließen sie das Zimmerfenster durchgehend geöffnet, gekippt natürlich. Neben dem Bett stand ein abgebrochener Zweig in einem Schirmständer. Vic hatte ihn besorgt, damit Gale nachts in einer Pflanze schlafen konnte, allerdings fielen die vertrockneten Blätter langsam ab. Der kleine Jadebaum seiner Mutter stand auf dem Fensterbrett. Zwischen den beiden Blättern war eine Knospe zu erahnen, er wuchs also weiter.

Im Zimmer gab es einen Kühlschrank, eine Mikrowelle, ein eigenes Bad, sogar mit Badewanne, und ein Telefon. Die Möbel wirkten abgenutzt, aber damit konnten sie sich arrangieren. Was blieb ihnen anderes übrig?

»Schon wieder.« Victor richtete sich auf. Er ließ die Fernbedienung sinken und starrte zum Fernseher. »Aber da ist diesmal auch ein Bild von dir.« Gale streckte sich und flatterte auf Vics Schulter, um mitzuschauen.

Eine Nachrichtensprecherin berichtete davon, dass Gale vor einigen Tagen in einem Tourismusbüro gesehen wurde. Die Frau, die dort arbeitete, muss sich an die Polizei gewendet haben.

»Er war mit jemandem zusammen, der laut Zeugenaussagen Ähnlichkeiten zu Victor Cavea aufwies.«

Vics Magen zog sich zusammen. Wie sollte er diesem Druck standhalten?

»Die Aufzeichnungen einer Überwachungskamera vor einem nahegelegenen Filmstudio zeigen zwei Personen. Ihre Identitäten werden geprüft.« Die Sprecherin senkte den Blick auf ein Papier und redete mit nüchterner Miene weiter: »Wie die beiden Fälle im Zusammenhang stehen, ist unklar. Remus Cavea befindet sich noch in Untersuchungshaft. Er streitet weiterhin ab, zu wissen, wo sich sein Sohn befindet.«

Victor verzog das Gesicht. »Das gefällt mir nicht.«

Gale tschilpte bestätigend.

»Wenn Sie einen der Vermissten sehen, melden sie das der örtlichen Polizei. Victor Cavea ist auf medizinische Hilfe angewiesen, konsultieren Sie einen Krankenwagen, wenn Sie sicher sind, ihn vor sich zu haben.«

»So eine übertriebene Kacke«, seufzte Victor und rollte sich auf den Rücken. Er starrte an die Decke, wo ein staubiger Ventilator hing. Die braunen Rotorblätter waren an den Rändern leicht vergilbt. Wenn man ihn einschaltete, würde es sicher Staubflocken schneien.

Noch einmal tschilpte Gale, dann verwandelte er sich und zog sich eine Hose an, ehe er sich neben Victor aufs Bett setzte. »Du sagst sofort Bescheid, wenn es dir schlecht geht, hörst du?« Mit einer zögerlichen Bewegung angelte er nach Vics Hand und begann diese zu massieren. »Oder wenn sich dein Zustand verschlechtert.«

MitternachtsgesangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt