Remus saß im Garten in Poolnähe auf einer Sonnenliege und telefonierte. Er winkte Victor und Gale zu sich. Seine Miene ließ sich schwer entschlüsseln, war er fröhlich oder besorgt? Mit geweiteten Augen und zuckenden Mundwinkeln sah er die beiden abwechselnd an.
»Hey Dad.« Victors Blick fiel auf das Smartphone an seinem Ohr. »Wer ist dran?«
»Eva.« Remus nahm das Gerät vom Ohr und grinste, wodurch sich seine Mimik endlich einer eindeutigen Regung zuordnen ließ. Freude. »Sie hat die Verkaufzahlen eurer Ausgabe vorliegen.«
»Und?« Victor drückte Gales Hand. Sein Blick heftete an Remus' Lippen.
»So viele haben wir in der ersten Woche noch nie verkauft«, antwortete Remus und bedankte sich bei Eva für den Anruf. Das Grinsen fror auf seinen Lippen ein. »Scheinbar hattest du recht. Das alte Konzept war rückschrittig.«
Victor weitete die Augen. »Dad, das ist absolut abgefahren!« Er drückte Gales Hand noch einmal und schenkte ihm ein Grinsen. »Das bedeutet, wir können damit vielleicht wirklich etwas erreichen.«
Gale erwiderte das Grinsen. Aber seine Augen strahlten Gegenteiliges aus. Irgendwas lag ihm auf dem Herzen.
Victor stutzte und wechselte den Fokus von Gale zu Remus. »Die Firma erholt sich. Und vielleicht schlägt sie jetzt größere Wellen, als je zuvor.«
Remus nickte. Er zog die Augenbrauen zusammen, bis sich eine nachdenkliche Falte zwischen ihnen bildete. »Du warst mit Gale beim Vortanzen, nicht wahr? Ist es ... also ... ist es gut gelaufen?«
Victor zögerte. Dann zuckte er mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Sie rufen in ein paar Tagen an.« Die ganze Wahrheit konnte er nicht über die Lippen bringen. Sein Umfeld hatte sich in den letzten Tagen fast mehr auf dieses Vortanzen gefreut als er selbst. Er konnte sie unmöglich mit der Tatsache konfrontieren, dass er nicht gut genug war. »Aber wenn es nichts wird, ist das für mich nicht schlimm.«
Remus runzelte die Stirn und sah Gale an. »War er gut?«
Gale zuckte mit den Schultern. »Natürlich war er gut.«
Die beiden nickten sich zu und es entstand ein kurzer Augenblick des gegenseitigen Verstehens. Auf einer undefinierbaren Ebene teilten sich Gale und Remus manchmal eine Wellenlänge.
Remus schien noch etwas sagen zu wollen, aber seine Aufmerksamkeit wurde von Diego abgelenkt, welcher beim Sportplatz aus einem Blumenbeet Unkraut zupfte. »Ist das eine Nutzpflanze oder Müll?« Er hielt Lavendel in der Hand und sah fragend über eine Hecke hinweg in ihre Richtung. Seit ein paar Wochen arbeitete Diego als Gärtner in der Villa, obwohl er dafür keine Qualifikationen besaß. Remus hat ihm während ihrer gemeinsamen Zeit in der Klinik eines der Zimmer versprochen und das hat Diego nur annehmen wollen, wenn er dafür Arbeit leisten durfte.
»Lavendel!«, rief Remus und seufzte so leise, dass nur Gale und Victor es hören konnten. »Kein Unkraut!«
»Oh.« Diegos Gesicht wurde bleich. »Die Wurzel ist aus Versehen ab!«
Remus machte eine abwinkende Bewegung. »Egal.« Anschließend sah er Gale und Victor an und senkte die Stimme. »Scheinbar wäre eine Fortbildung für ihn doch sinnvoll.«
Victor grinste. »Ich finds gut, dass du ihm diese Möglichkeit bietest.«
»Er bringt auf jeden Fall Abwechslung rein.« Remus massierte seine Nasenwurzel und lachte kurz auf. »Er hat neulich eine Bikinimodenschau mit Cherry und Dahlia veranstaltet.« Sein altbekanntes Grinsen kehrte zurück. »Die habe ich mir natürlich nicht entgehen lassen.«
»Ach Dad.« Victor schüttelte den Kopf. »Ich bin froh, dass es dir besser geht.«
Remus nickte und sein Gesichtsausdruck wurde mild. Er widmete seinem Sohn ein dankbares Lächeln. »Ich auch.« Dann sah er Gale an und runzelte die Stirn. »Was hat euch eigentlich heute her verschlagen? Wolltet ihr nach dem Vortanzen nicht zu Gales Familie?«

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Mitternachtsgesang
FantasyAls seine Mutter stirbt, muss Victor zu seinem Vater nach Amerika ziehen. In der Villa des weltbekannten Aufreißer-Milliardärs wird der Teenager mit Homophobie und Anzüglichkeiten konfrontiert. Weil er mit diesem Lebensstil nichts anfangen kann, ve...