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𝐾𝑎𝑡𝑒𝑙𝑦𝑛

Ich habe lange mit mir gehadert, ob ich Leandro wirklich aufsuchen soll. Aber da ich bis jetzt kein Sterbenswörtchen von ihm gehört habe, konnte ich nicht anders, als nach ihm zu sehen. Mein schlechtes Gewissen nagt noch immer an mir. Ich habe ihn nicht einmal nach Kisha gefragt, seitdem ich wieder hier bin, und dann komme ich dazu, als... Der an blick, als ich Leandro auf dem Boden knien gesehen habe, wie er sich an seiner toten
Schwester festgekrallt hat, war grausam. Ich bin durch meinen Job einiges gewöhnt, aber wenn sich solche Vorkommnisse ins Privatleben ziehen, dann ist das etwas anderes. Als Easton unerwartet an mir vorbeistürmt, zucke ich erschrocken zusammen. Er würdigt mich keines Blickes. Es wirkt beinahe so, als hätte er mich absichtlich übersehen. Doch das kommt mir gerade recht. Dann kann ich allein mit Leandro reden.

"Sie können...", will der große, dunkle Muskelprotz mich gerade in Leandros Büro bitten, als die Tür aufgestoßen wird. Ich kann gerade noch einen Satz zur Seite machen, um nicht getroffen zu werden. Alessandro zieht sich umgehend mit gesenktem Kopf zurück.

"Was willst du hier?" Leandros Stimme ist so frostig wie noch nie zuvor. Sein Blick ist ebenso eiskalt. Die Mimik starr. Sein Körper zum Zerreißen angespannt. Das Grün in sei nen Augen strahlt nur eines aus: Hass.

"Ich wollte nach dir sehen und mich erkundigen, wie es dir geht", antworte ich ruhig, versuche, mir dabei nicht anmerken zu lassen, wie unwohl ich mich in seiner Gegenwart fühle. Ich habe schon viele Facetten an ihm erlebt, aber diese ist das Furchteinflößendste, was er mir jemals gezeigt hat.

"Was glaubst du denn, wie es mir geht, nachdem irgendein Killer meine Schwester umgelegt hat? Vor einer gottverdammten Kirche?" Er ballt die Hände zu Fäusten, versteckt sie aber hinter seinem Rücken.

Ich hebe beschwichtigend die Hände. "So war das nicht gemeint, und das weißt du. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht."

"Um mich muss man sich keine Sorgen machen", entgegnet er. "Niemand muss das. Und du erst recht nicht.".

Seine Worte treffen mich härter als erwartet. Ich bin bereits mit einem leicht flauen Gefühl im Magen hergekommen. Aber dass er mich so anfährt, hätte ich nicht für möglich gehalten. Wie kann er so zu mir sein? Wie kann er überhaupt so sein? In diesem Momentist er mir fremd, und es ist, als würde etwas ernsthaft Böses in ihm wohnen.

"Dann sollte ich wohl besser wieder gehen", sage ich und trete den Rückzug an. "Habt ihr schon eine Spur, die zu Kishas Mörder führt?", ruft er mir hinterher. Ich sehe über die Schulter zu ihm. "Nein, noch nicht."

Er wedelt mich wie eine lästige Fliege da von. "Dann geh mir aus den Augen."

Das bohrt ein riesiges Loch in meine Seele. Innerlich krümme ich mich vor Schmerz. Eilig verlasse ich das Wish und rufe mir ein Taxi. Das war das Schlimmste, was ich in Bezug auf Leandro und mich je erlebt habe, und ich weiß nicht, ob ich das jemals vergessen kann, geschweige denn ihm verzeihen kann, wie er mit mir umgesprungen ist.

Ich habe es mir gerade einmal vor fünf Minuten mit einer Flasche Wein auf dem Sofage mütlich gemacht, als es Sturm klingelt. Ob er das ist und sich entschuldigen will? Verdient hätte ich es auf jeden Fall.

Gemächlich erhebe ich mich und gehe nur mit einem weißen Bademantel bekleidet zur Tür.

"Was willst du denn hier?", frage ich genervt, als nicht Leandro, sondern Ethan vor mir steht. Der ist der Letzte, den ich jetzt sehen will.

Er hebt eine Flasche Scotch in die Höhe. "Ich dachte, du könntest einen Drink gebrauchen."

Ich reiße sie ihm aus der Hand. "Danke, ich
nehme die Flasche", sage ich und will die Tür wieder zuknallen, doch Ethan stellt den Fuß dazwischen. "Lass mich rein. Ich bin ein guter Zuhörer, und ich sehe dir an, dass du ein offenes Ohr brauchst", bittet er mich. Obwohl mir klar ist, dass ich es nicht tun sollte, gebe ich ihm den Weg frei. Gerade habe ich nur wenig Kraft, ihm etwas entgegenzusetzen.

Ich kehre zum Sofa zurück und sehe Ethan dabei zu, wie er routiniert zwei Gläser aus dem Küchenschrank holt, den Scotch einschenkt und sich dann zu mir setzt. Ja, er kennt sich noch bei mir aus. Welch Wunder. Das wollte er mir bestimmt damit demonstrieren. Oder nicht. Ist auch egal.

Er hätte nicht herkommen sollen, und ich hätte ihn nicht reinlassen sollen. Ich ärgere mich über meine Dummheit. Das wird ihm wieder falsche Signale senden, und ich habe noch mehr Mühe, ihn loszuwerden.

"Wie gut kennst du diesen Bishop?", fragt er, stößt sein Glas gegen meins und sieht mich neugierig über den Glasrand an, während er sich einen großen Schluck genehmigt.

"Ist das so wichtig? Ich habe dir doch schon gesagt, dass wir bei Kisha in einer Sackgasse enden. Keiner von ihnen hat auch nur ansatz weise etwas mit der Clanszene zutun. Und erst recht nicht mit dem König."

"Die Jimenez waren aber trotzdem dort", gibt Terry zu bedenken. Er nimmt meine Hand und führt mir das Glas an den Mund. "Und nun trink endlich. Das wird dich wieder etwas runterkommen lassen."
"Vermutlich haben sie sie verwechselt oder sie ist unabsichtlich in deren Kreuzfeuer gera ten", vermute ich.

"In welches Kreuzfeuer? Wir haben bisher keine Erkenntnisse, dass dort noch ein anderer Clan war. Oder es eine Schießerei gab." Ethan lehnt sich zurück.

Ich kann seinen scharfen Blick in meinem Nacken spüren. "Dann wird es sich um eine Verwechslung gehandelt haben, sagte ich doch schon." Ich sehe über die Schulter zu ihm. "Ich kenne die Familie schon sehr lange, glaub mir."

"Aber du warst einige Jahre nicht in New York." Er zuckt die Schultern. "Menschen ändern sich."

Seine dämlichen Anspielungen nerven mich. "Lass es gut sein, Terry. Ich kenne Leandro so gut, wie ihn kein anderer Mensch je kennen wird. Er und seine Familie sind da in etwas Schreckliches hineingeraten. Wir sollten sie in Ruhe lassen, damit sie um ihre verstorbene Schwester und Tochter trauern können."

Ethan legt einen Arm auf die Sofalehne und nimmt noch eine gemütlichere Haltung ein. "Gut, wie du meinst. Dann müssen wir eben weitersuchen.“

"Warum bist du wirklich hier?", erkundige ich mich.

"Ich wollte dir beistehen", antwortet er

schief grinsend. Ich schüttele den Kopf. "Nein, das wolltest du nicht. Du wolltest nur in Erfahrung bringen, ob ich mit ihm schlafe."

Er leert sein Glas, ehe er mir antwortet. "Tust du das? Denn falls ja, läge die Sache schon wieder etwas anders. Vielleicht deckst du ihn dann ja nur." Ich glaube es ja wohl nicht. Wie kann er mir so unverfroren solche Frechheiten an den Kopf knallen? Habe ich heute irgendein Zeichen auf der Stirn, das die Männer in meiner Umgebung dazu veranlasst, verbal auf mich einzuprügeln?

Ruckartig erhebe ich mich. "Du solltest jetzt besser gehen." Ethan macht eine beschwichtigende Geste.

"Sorry, so war das nicht gemeint. Ich habe nur laut nachgedacht und ..." "Allein schon, dass du dir solche kuriosen Sachen zusammenreimst, ist unterste Schublade. Mit was habe ich dich so verärgert, dass du neuerdings so über mich denkst?"

Da Ethan kein Anstalten macht, sich zu be wegen, zerre ich ihn am Handgelenk in den aufrechten Stand.

"Uhhhh... du kannst zupacken. Darauf stehe ich", feixt er.

„Okay, das reicht. Mach, dass du raus
kommst! Du hast meine Gastfreundschaft genug strapaziert", verweise ich ihn meiner
Wohnung. Kleinlaut tritt Ethan den Rückzug an. "Schon gut. Ich bin schon weg." Ehe er die Tür hinter sich schließt, dreht er sich aber noch einmal zu mir um. "Du solltest über das, was ich dir gesagt habe, nachdenken, Katelyn. Die Jimenez verlassen ihr Versteck sicher nicht ohne genaue Backgroundchecks. Die Kerle wissen, was sie tun, und wenn du mich fragst, war dieser Mord kein Zufall. Vielleicht hat dein Lover oder Ex-Lover nichts damit zu tun, aber wie gut kennst du seine Schwester denn wirklich? Sie muss noch ein Kind gewesen sein, als du New York verlassen hast."

Ich muss lachen. "Du willst mir also erzählen, dass Kisha, eine junge Frau, die einen Kirchenchor geleitet hat und auf der Uni mit Abstand die beste Studentin war, Carlos Jimenez getötet hat? Du machst dich lächerlich."

"Es wäre zumindest eine gute Tarnung", meint Ethan nachdenklich.

"Nein, das ist Blödsinn, und jetzt geh." Ich schiebe ihn durch die Tür und schließe hinter ihm ab.

Unglaublich, was der Kerl sich zusammenreimt. Er soll bloß nicht auf die blöde Idee kommen und Leandro mit seinen dämlichen Anschuldigungen auf die Nerven gehen. Er muss schon genug erleiden. Unglaublich, was Eifersucht doch für komische Blüten treiben kann.

| NYC King - Du wirst mich Lieben |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt