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𝐾𝑎𝑡𝑒𝑙𝑦𝑛

Es scheint, als würde die Sonne heute viel heller strahlen als sonst um diese Zeit. Der Himmel ist wolkenlos. Es weht nur ein laues Lüftchen. Es sieht aus, als würde Kisha mit Freuden erwartet. Wo auch immer das sein mag. Sie wird mit offenen Armen empfangen werden. Das spüre ich.

Was ich allerdings auch spüre, ist die gereizte Stimmung zwischen Leandro und Jason. Die beiden Brüder diskutieren. Sie flüstern zwar nicht unbedingt, doch ich kann dennoch nicht verstehen, um was es geht. Ich stehe zu weit weg. Da aber Leandros Bruder immer wieder in meine Richtung sieht, geht es wohl um mich. Ich wäre gern näher an Leandros Seite gewesen, hätte ihm an diesem schweren Tag gern die Hand gehalten, ihn gestützt, doch das war unmöglich. Jason wäre
ob meiner bloßen Anwesenheit ausgeflippt, Das tut er auch jetzt, obwohl ich mich mit Ab sicht im Hintergrund halte. Leandro hat es wahrlich nicht leicht mit ihm. Ich lehne mich gegen einen Baum und überdenke die Situation. Außer den beiden Brüdern ist niemand hier, und da der Pfarrer soeben seine Rede beginnt, werden sie auch die Einzigen bleiben, die sich von Kisha verabschieden. Wo ist ihre Mutter? Warum ist sie nicht hier? Und wo sind all ihre Freunde? Die Kirchenmitglieder der Gemeinde? Die Sänger des Chors, den Kisha geleitet hat? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass keiner von ihnen heute hier sein wollte.

Noch dazu muss es ein Heidengeld gekostet haben, sie hier beerdigen zu lassen. Mal davon abgesehen, dass alle New Yorker Friedhöfe hoffnungslos überfüllt sind und man nur noch sehr schwer an einen Platz kommt, frage ich mich, wie Leandro sich das leisten konnte. Soweit ich mich erinnern kann, hatte sogar der ehemalige Bürgermeister Ed Koch ein Problem, hier eine Grabstätte zu bekommen.

Wie also ist Leandro da rangekommen? Dass Kisha der Kirche gedient hat, wird nichts dazu beigetragen haben, denn nicht jeder, der der Trinity Church angehört, wird hier seine ewige Ruhe finden. Nicht mal ein kleiner Teil davon.

Das wirft erneut Fragen auf, die ich mir gern ersparen würde. Doch ich muss sie mir stellen. Das bin ich nicht nur Kisha schuldig, sondern auch mir selbst. Als ich meinen Job angetreten habe, habe ich geschworen, für das Gute zu kämpfen. Und das werde ich auch. Ich werde ihren Mörder finden.

Als ich in Leandros Penthouse war und ihm von Maria Jimenez erzählt habe, war ich der festen Überzeugung, dass er keine Ahnung hat, wovon ich spreche. Mittlerweile aber glaube ich, dass mir der postkoitale Rausch etwas vorgespielt haben könnte. Meine Sinne waren noch vernebelt. Jetzt muss ich mir eingestehen, dass ich Ethans Mutmaßungen wohl doch mehr Aufmerksamkeit schenken muss, als mir lieb ist.

Wenn ich es nicht tue, wird er es tun, und das schürt die Angst in mir noch mehr, dass er etwas herausfinden könnte, an dem ich zerbrechen werde. Ich muss Ethan zuvorkommen und ihm beweisen, dass Leandro nichts mit dem Mord an Maria Jimenez zu tun hat. Wenn ich das nicht schaffe, wird meine Welt schon sehr bald in sich zusammenbrechen, das spüre ich. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als mich allein auf die Suche zu machen und ihm Kishas Mörder und im besten Fall auch noch Marias Mörder zu präsentieren. Erst, wenn ich das geschafft habe, wird Ethan das Ganze auf sich beruhen lassen. Hoffentlich wird ihm dann klar, dass seine wilden Theorien ausschließlich auf Eifersucht aufgebaut sind.

Während Leandro mit starrer Haltung und gesenktem Kopf vor Kishas Grab steht und andächtig der Rede des Pfarrers lauscht, wirkt Jason angespannt. Sein Blick schweift immer wieder nervös über die Umgebung. Er schafft es kaum, sich auf die Beerdigung zu konzentrieren.

Jason war zwar schon als Kind ein unru higer Bengel ich vermute, er leidet unter ADHS-, dennoch ist sein Verhalten auffällig.

Homt er vielleicht darauf, dass seine Mutter doch noch auftaucht? Sein angsterfüllter Gesichtsausdruck passt jedoch nicht dazu.

Ich folge seinem Blick... und auf einmal fühlt es sich an, als würde mein Herz stehen bleiben. Nicht weit von mir, hinter einem Baum, der etwas abseits steht, entdecke ich einen Mann. Er ist zweifelsohne mexikani scher Abstammung, und auf seinem Hals ist ein umgedrehtes Kreuz tätowiert, an dem ein Rosenkranz hängt. Er ist ein Jimenez.

Offenbar hat er mich noch nicht bemerkt. Tausende Gedanken schießen mir durch den Kopf. Was ist, wenn Ethan doch recht hat? Ich versuche, das Wirrwarr in meinem Hirn zu sortieren, doch ich komme nicht mehr dazu, da ich sehe, wie der Kerl eine Waffe zieht.

Ist das die Bestätigung für Ethans Vermutungen? Der erste Beweis, den selbst ich nicht mehr ignorieren kann?

Mein Job zwingt mich zum Handeln. Ich
verlasse meine Deckung, zücke meine Marke und gehe zielstrebig auf den Kerl zu.

"FBI, legen Sie die Waffe nieder und nehmen Sie die Hände hoch, sodass ich sie sehen kann", rufe ich ihm zu. Der Kerl erstarrt kurz, und als er die Situation überblickt, rennt er wie erwartet davon.

Ich sollte ihm nachlaufen, doch ich kann nicht. Meine Füße fühlen sich bleischwer an, und mein Herz zerbricht in so viele tausende Teile, dass ich es niemals mehr wieder zusam menfügen kann. Ein unbeschreiblicher Schmerz jagt mir durch den Körper. Ich weiß nicht, ob und wie ich damit umgehen soll, was nun so offen und klar vor mir liegt. Ich weiß nur, dass ich nichts weiß.

| NYC King - Du wirst mich Lieben |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt