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𝐿𝑒𝑎𝑛𝑑𝑟𝑜

Jason gebärdet sich wie ein wilder Stier, läuft unruhig auf und ab. "Und du bist dir wirklich sicher, dass Jimenez dahintersteckt?", frage ich ihn.

"Sie haben Spencer zuerst die Ohren abge schnitten, und als er nicht singen wollte, wo du zu finden bist, hat man ihm die Zunge rausgeschnitten, ehe man ihm eine Kugel in den Kopf gejagt hat. Hellboy haben sie nur am Leben gelassen, um uns das auszurichten", erklärt er mir jetzt bereits zum dritten Mal, was heute Nacht geschehen ist.

Hellboy, was für ein blöder Name. Gangster sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.

"Und ich frage dich jetzt noch einmal, Haben die Typen, die Spencer das angetan haben, gesagt, dass sie von Jimenez kommen?"

Ein Streit unter Straßenjungs ist nichts Ungewöhnliches. Da geht es oft ruppig bis tödlich zu. Ich bin mir also nicht sicher, ob Hellboy die Wahrheit erzählt oder womöglich nur von sich selbst ablenken will. Jeder weiß, dass er bei uns rausfliegt, wenn er nicht spurt oder mit anderen Dealern aneinandergerät und so den Fokus der Bullen auf unsere Geschäfte lenkt.

Jason bleibt vor meinem Schreibtisch stehen. "Nein, aber das ist auch nicht nötig. Du musst nur eins und eins zusammenzählen. Wer bitte sollte sonst solchen Dreck mit uns abziehen?"

"Schon mal drüber nachgedacht, dass du die Jungs nicht so gut unter Kontrolle hast, wie du immer dachtest, und die sich nur nicht an die Regeln gehalten haben? Dieser dämliche Hellboy hat nicht alle Tassen im Schrank." Ich sehe ihn gelangweilt an. "Allein sein bescheuerter Name ist Beweis genug dafür, dass bei dem eine Schraube locker ist."

"Und bei dir scheinen gleich mehrere locker zu sein, wenn du nicht siehst, was so klar und offen vor dir liegt. Ich sage nur dein Auto."

Ich winke kopfschüttelnd ab. "Barry ist
durch ihr Gebiet gefahren. Das ist etwas ganz anderes."

Jason lässt sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch sinken, stellt die Ellenbogen auf die Oberschenkel und fährt sich verzweifelt durch sein dunkelbraunes Haar. "Die Bullen haben Spencers Leiche", murmelt er kaum hörbar.

"Bitte was?", schreie ich entsetzt. "Das
sagst du mir erst jetzt?" Jason sicht wieder zu mir auf und atmet dabei angestrengt aus. "Du hast mir ja nicht zugehört. Du bist mit deinen Gedanken ganz woanders." Ich lasse es mir nicht anmerken, aber er hat recht. Seitdem ich Katelyn habe gehen lassen, nagt das Gefühl an mir, dass das ein großer Fehler war. Ich habe ihr angesehen, dass sie weiß, wer ich bin. Zumindest ist ihr das tief in ihrem Inneren bewusst. Noch will sie es nicht wahrhaben. Sie kämpft mit sich, versucht, ihr Wissen zu kontrollieren. Doch egal, mit wie viel Erde sie es auch zuschüttet, es wird immer wieder an die Oberfläche kommen. Wie Unkraut. Man kann es herausreißen, versuchen, es zu vernichten. Doch es findet immer wieder Wege, um neu zu gedeihen.

"Jimenez muss sie gerufen haben. Hellboy konnte nur noch fliehen und musste Spencer liegenlassen", erklärt Jason.  "Weißt du, was er damit bezwecken will?"

Ich lehne mich im Stuhl zurück. "Er will uns kaltstellen. Den Bullen ist mittlerweile klar, dass es sich bei den Morden der letzten Tage um einen Streit zwischen ihm und dem Königreich handelt. Und die wollen nur eins: den König. Den will Jimenez ihnen jetzt auf einem Silbertablett servieren, da er scheinbar eine noch feigere Sau ist, als ich dachte. Er will sich nicht mit mir anlegen, da ihm wohl klargeworden ist, dass er gegen mich keine Chance hat. Und wie stellt man das am schlauesten an? Er versucht, uns beim unwichtigsten und kleinsten Glied in der Kette zu packen."

Jason runzelt die Stirn. "Wie meinst du das?
Hätten sie Hellboy in die Finger bekommen, hätten die Bullen ihn so lange bearbeitet, bis er auspackt. Vermutlich hätten sie ihm für die Information sogar einen Altersruhesitz auf Hawaii angeboten", sage ich.

"Er hätte sie also zu mir geführt." Langsam begreift mein kleiner Bruder.

"Du musst noch sehr viel lernen." Ich verschränke die Arme vor der Brust und lockere meine Schultermuskulatur. "Kämpfe nie mit einem Schwein. Ihr werdet beide dreckig, aber dem Schwein gefällt es."

Jason steht so schwungvoll auf, dass der Stuhl nach hinten umkippt. "Wenn er das wirklich war, hat er gegen den wichtigsten Kodex verstoßen!"

"Sag ich doch. Jimenez ist ein Schwein. Kein anderer Clan würde sich auch nur an satzweise trauen, die Bullen ins Spiel zu bringen. Das ist ein absolutes No-Go. Wir regeln unsere Probleme unter uns. Aber er..." Ich halte kurz inne. "Er ist ein Schwein und suhlt sich jetzt auch noch in dem Dreck, den er fabriziert hat."

Jason stemmt die Hände auf die Schreibtischplatte. Er grinst erleichtert. "Aber sie haben Hellboy nicht bekommen. Also ist es doch gerade noch mal glimpflich ausgegangen."

"Das schon, aber er bringt uns mit seinem Scheiß immer mehr in Bedrängnis. Jetzt sind wir wieder an der Reihe. Aber egal, wie wir vor gehen, er wird sich für den Rückschlag eine neue Schweinerei für uns einfallen lassen", mache ich seine Hoffnungen zunichte. So ein fach, wie er sich das vorstellt, ist es nicht.

"Und aufhören können wir auch nicht, denn dann würden wir unser Gesicht verliren." Jason hebt den Stuhl wieder auf und setzt sich.

"ICH würde mein Gesicht verlieren, und unsere Organisation wäre nicht mehr das, was sie einmal war", korrigiere ich seine Aussage. Hoffentlich wird ihm bald klar, in welche Situation er uns gebracht hat.

"Dann gibt es nur eine Lösung: Wir müssen ihn kaltmachen."  Es lässt mich höhnisch lachen. "Denkst du nicht, dass er darauf vorbereitet ist?"

Er zuckt die Schultern. "Und wenn schon? Wir müssen es probieren. Was bleibt uns anderes übrig?" Ich winke ab. "Nein, das ist viel zu gefährlich."

Mein Bruder verengt die Augen. "Warum?"
"Was meinst du mit warum? Wenn du das
nicht kapierst, kann ich dir auch nicht mehr helfen", fahre ich ihn an.

Manchmal stellt er sich an wie der erste
Mensch auf Erden. Was kann man an dieser verzwickten Lage nicht verstehen? Jimenez ist vorbereitet, und er hat nicht einmal Skrupel, die Bullen auf uns zu hetzen. Die Kombination aus beidem ist der sichere Strick für uns. "Natürlich, es geht wieder mal um sie", regt Jason sich auf. "Ich dachte, du regelst das endlich?" "Sie weiß es", antworte ich ruhiger als ich es in Wirklichkeit bin.

"Ach, was du nicht sagst. Sie wollte einem verdammten Jimenez hinterherlaufen, als der uns auf der Beerdigung abknallen wollte." Jason steht wieder auf, kommt um den Schreibtisch herum und baut sich vor mir auf. "Sag mir jetzt nicht, dass du deshalb immer noch nichts unternommen hast." "Doch, habe ich."

"Dann ist sie also keine Gefahr mehr für uns?", fragt Jason, wohlwissend, dass ich ihm nicht die Antwort geben werde, die er sich erhofft. Als ich nicht reagiere, geht er zurück zu dem Stuhl, setzt sich und lässt die Schultern hängen. "Ich tu jetzt einfach mal so, als würde ich dich verstehen... " Er winkt genervt ab. "Nein, weißt du was? Ich verstehe dich nicht."

"Das musst du auch nicht", knurre ich. "Wenn du sie nicht aus dem Weg räumst, werden wir alle draufgehen. ALLE!"

Jason hat es auf den Punkt gebracht. Einen Punkt, der mir so schmerzhaft in der Seele brennt, dass ich mich am liebsten krümmen würde. Doch ich muss Haltung bewahren. Ich darf ihm nicht zeigen, wie sehr ich noch immer mit der Entscheidung hadere. Ihr Tod wäre auch meiner. Wenn ich Katelyn aus dem Verkehr ziehen muss, werde ich mit ihr sterben.

"Also, was ist jetzt? Letzte Chance kümmere dich darum, oder ich mache es." Jason spricht es nicht einmal mehr als Drohung aus, sondern als Tatsache. Wenn ich jetzt nicht schleunigst etwas unternehme, hat Katelyn eine Kugel im Kopf. Es seidenn, ich erledige zuerst Jason und dann ... Ich verwerfe diesen Gedanken. Das kommt nicht infrage. Er ist mein Bruder. Auch das würde ich nicht verkraften. Ich habe bereits Kisha verloren.

Ich stehe auf, richte meinen Anzug und lege Jason eine Hand auf die Schulter. "Ich kümmere mich darum. Versprochen. Katelyn wird schon sehr bald kein Problem mehr sein."

So einfach mir diese Worte über die Lippen gekommen sind, so schwer sind sie in Wirklichkeit. Es fühlt sich an, als würde mein Herz seinen Dienst einstellen. Und schon sehr bald wird auch ihres nicht mehr schlagen. Ich sterbe bereits jetzt Stück für Stück, und Katelyn wird mir schon sehr bald folgen. Viel leicht ist das Jenseits die einzige Welt, in der es uns beiden vergönnt ist, glücklich zu sein.

| NYC King - Du wirst mich Lieben |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt