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𝐾𝑎𝑡𝑒𝑙𝑦𝑛

Mit einem möglichst freundlichen Gesichtsausdruck verharre ich vor Ethans Schreibtisch. "Ich bin ganz Ohr." "Ach, jetzt kommst du. Tage später", murmelt er beleidigt. Er hat es schon immer gehasst, wenn man nicht sofort springt, wenn er angeblich besondere Neuigkeiten hat.

"Du hast mich erst gestern angerufen", relativiere ich seine Aussage.

Immer wenn Ethan denkt, dass er seinem Gegenüber überlegen ist, bekommt das Blau in seinen Augen einen besonderen Touch. So ist es jetzt auch. Er lehnt sich entspannt in seinem Bürostuhl zurück und mustert mich. "Mir kommt es so vor, als würde dich dieser Fall plötzlich viel weniger interessieren, seit dem die Vermutung im Raum steht, dass deine Bekannten mit involviert sein könnten."

Abwehrend verschränke ich die Arme vor der Brust. "Das ist absoluter Blödsinn." "Ach ja? Bist du dir da so sicher?"

Ethans überhebliche Art kotzt mich an. Er geizt nicht damit, mir zu zeigen, wie wenig er mich noch an seiner Seite haben will, seitdem wir nicht mehr miteinander schlafen. Ich dachte immer, nur verletzte Frauen wären so drauf, aber da habe ich mich offensichtlich getäuscht. Ethan sucht quasi nach der Nadel im Heuhaufen, um mir wehtun zu können. Jetzt glaubt er, dass er sie gefunden hat. Deshalb fällt es mir auch so schwer, zu glauben, dass Kisha, Jason oder Leandro tatsächlich etwas mit der Sache zu tun haben. Die Zweifel bestehen sozusagen in beide Richtungen.

"Hast du jetzt etwas oder nicht? Ansonsten gehe ich an meinen Platz."

Ethan beugt sich nach vorn und faltet die Hände auf dem Tisch. "Mein Informant hat von einem anderen Informanten erfahren, dass die Jimenez Leute schicken wollten, und weißt du auch wohin?" Er hält inne und sieht mich erwartungsvoll an, als erwarte er die Antwort von mir. "Zu einer Beerdigung, um sich dort Marias Mörder vorzuknöpfen."

Ich lasse mir nichts anmerken. "Und weiter? Wann ist diese Beerdigung?", frage ich ruhig, während in mir ein Sturm tobt. Wenn es stimmt, was Ethans Informant erfahren haben will, liegt die Antwort, wer das Königreichre giert, klar auf der Hand.

"Die Beerdigung von Kisha Bishop", antwortet Ethan. "Wieso habe ich das Gefühl, dass du das bereits weißt?"

Er denkt, er durchschaut mich, aber das kann er vergessen.

"Ich war auf der Beerdigung und kann dir sagen, dass dort kein Jimenez aufgetaucht ist", lüge ich, ohne rot zu werden.

Meine Kaltschnäuzigkeit lässt mich inner lich erschaudern. Mir wird leicht übel. Was ist nur aus mir geworden? Was hat Leandro aus mir gemacht? Ich stehe in der Behörde, der ich einen Eid geschworen habe, und lüge meinen Kollegen an. Eiskalt, ohne mit der Wimper zu zucken. Und warum? Nur weil ich es nicht wahrhaben will, was ich längst vor Augen habe.

"Bist du dir sicher?", fragt er skeptisch. Vielleicht weiß er von meiner versuchten
Verhaftung. Vielleicht hat der Kerl gesungen. Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, das wäre viel zu peinlich für ihn. Wenn er erzählt, dass er beinahe von den Bullen geschnappt worden wäre, hätten sie ihn sicher sofort um gebracht.

"Ja, bin ich", antworte ich ohne Zögern. „
"Er auch, er hat dich gesehen und deshalb
nicht abgedrückt. Weil man auf Bullen nicht schießt", erklärt Ethan. Ich winke augenrollend ab. "Ach, komm schon. Du musst doch merken, dass das Blödsinn ist. Woher soll der Typ, der angeblich dort
war, wissen, dass ich FBI-Agentin bin? Steht mir das etwa auf die Stirn geschrieben?" Kann es wirklich sein, dass der Kerl so bescheuert ist und eine derart dumme Geschichte erzählt? Mein Kollege jedenfalls scheint sie ihm bis eben geglaubt zu haben. Er hat sie keine Sekunde lang hinterfragt, sondern sich daran festgeklammert.

"Und nun? Was für eine Erklärung hast du
dafür?", hake ich nach.

Ethan verzieht gequält den Mund. "Noch
keine." "Du denkst zu wenig nach. Du setzt deinen Informanten massiv unter Druck, also sucht er krampfhaft nach etwas. Oder woher soll seine angebliche Quelle wissen, dass ich dort war und dass ich ein Bulle bin? Das weiß doch nur dein Informant." "Die Beschreibung hat auf dich gepasst. Ich
musste also nur eins und eins zusammenzählen", murmelt Ethan. "Ja, weil dein Informant mich kennt", entgegne ich. "Woher hätte der andere Kerl wis sensollen, für wen ich arbeite?"

Ich weiß, dass das gerade ein bitterböses Spiel ist, das ich hier treibe, aber ich kann nicht anders. Etwas in mir zwingt mich zum Lügen. Leider ändert das nichts an der Tatsache, dass ich mich damit abfinden muss, dass ich weiß, wer der König ist.

"Das weiß ich noch nicht, aber ich werde es noch herausfinden." Es passt Ethan nicht, dass er dafür keine Erklärung hat. Und noch weniger gefällt es ihm, dass ich ihn auf diese Ungereimtheit hingewiesen habe. Ich weiß aber auch, wie sie zustande gekommen ist. Der verhinderte Schütze ist hohl in der Birne. Anstatt zu sagen, dass er kein freies Schuss feld hatte, behauptet er, ich wäre ein Bulle. Warum hat ihn denn keiner gefragt, woher er das weiß? Nun gut, mir soll's vorerst recht sein.

"Du solltest dich langsam damit abfinden, dass wir auf der richtigen Spur sind. Der Typ, dem man Ohren und Zunge abgeschnitten hat, geht auch auf Jimenez' Konto. Das war ein kleiner Straßendealer, der hatte noch eine Menge Beutelchen dabei. Er wurde mitten in Manhattan hingerichtet, und dieser Stadtteil gehört zum Königreich. Da sind wir uns doch einig, oder?"

Diese Sache kann ich nicht abstreiten, so gern ich es würde. "Oder sie haben die Leiche absichtlich dort platziert", werfe ich eine neue Theorie auf.

Mein Kollege runzelt die Stirn. "Und warum sollte das jemand tun? Und wer denn über haupt?" Er schüttelt den Kopf. "Nein, das ergibt keinen Sinn." "Das, was du über die Beerdigung erzählst, aber auch nicht", kontere ich. Ethan steht auf und nickt in Richtung Kaf feeküche. "Willst du auch einen?"

Ich folge ihm, ohne zu antworten. In dem schmalen, abgetrennten Raum ohne Tür bleibt Ethan stehen und wendet sich mir zu. "Ich weiß nicht, warum, aber ich habe immer mehr das Gefühl, dass du weißt, dass ich recht habe. Und dass du mir etwas dazu verschweigst." Er nähert sich mir. Mit ausge strecktem Finger deutet er auf mich. Seine Augen sind weit geöffnet, sein Blick verbissen. "Solltest du versuchen, diese Leute zu schützen, obwohl dir klar ist, wer sie sind, dann weißt du, was dir droht."

Entrüstet trete ich einen Schritt zurück. "Bist du jetzt völlig verrückt geworden?"

Ethan grinst schief. "So wie du dich benimmst, könnte man glatt meinen, du spielst für die falsche Seite."

"Das reicht. Das muss ich mir nicht bieten
lassen." Ich wende mich zum Gehen. "Du kennst mich lange genug und weißt, dass ich die Wahrheit herausfinden werde.
Früher oder später", ruft er mir hinterher. Soll das eine offene Drohung sein? Ich bleibe stehen und sehe über die Schulter zu ihm. "Deine Unterstellungen sind das Allerletzte. Du kommst nicht damit klar, dass wir nicht mehr miteinander schlafen. Fein. Dann werde ich jetzt zu Johnson gehen und um einen neuen Partner bitten. Du bist nicht unvoreingenommen, weil du eifersüchtig bist."

"Das wagst du nicht." Ethan eilt mir hinter her, packt mich am Handgelenk und reißt mich herum.

Ich befreie mich blitzartig aus seinem Griff. "Drehst du jetzt komplett durch?"

Erschrocken ob seiner Tat weicht er mit er hobenen Händen einen großen Schritt zurück. "Das wollte ich nicht. Tut mir leid."

"Genau das meine ich, Terry. So kann das
nicht weitergehen." Demonstrativ reibe ich
mir das Handgelenk. "Wenn du etwas über unsere Affäre aus plauderst, sind wir beide am Arsch." Sein flehender Blick erweicht mich nicht.

"Das ist mir egal. Viel schlimmer finde ich es, dass du unschuldigen Menschen solche schrecklichen Dinge unterstellst", reagiere ich zornig.

In diesem Moment wird mir klar, dass ich mich in etwas hineinmanövriert habe, aus dem ich mich nicht mehr retten kann. Nicht allein. Nicht mit Hilfe. Nie mehr. Ich habe eine Grenze überschritten, die ich nicht hätte überschreiten dürfen. Ein Zurück gibt es nicht.

| NYC King - Du wirst mich Lieben |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt