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𝐿𝑒𝑎𝑛𝑑𝑟𝑜

Für den heutigen Tag war Regen angesagt, stattdessen suchen sich nun Sonnen strahlen ihren Weg durch die Verästelungen der Bäume. Leise rascheln die Blätter im seichten Sommerwind. Das hätte Kisha gefallen. Wenn es schon sein muss, dann so. Das wären zumindest ihre Worte für solch einen verdammt schmerzhaften Tag gewesen. Wenigstens hat man ihr diesen Wunsch erfüllt. "Wieso ausgerechnet hier?" Jason zupft
nervös an seinem Anzug herum, während sein Blick über den Friedhof schweift. "Die Stadt, vor allem dieser Teil hier, war
ihr Leben. Deshalb soll sie auch hier ihre
ewige Ruhe finden", antworte ich.

Der Friedhof, der gegenüber der Trinity Church liegt, ist das, was Kisha sich gewünscht hätte. Und wenn ich es schon nicht geschafft habe, sie zu beschützen, so wollte ich ihr zumindest das ermöglichen. Hier hat sie alles um sich, was sie so sehr geliebt hat. Die Kirche, Manhattans Lärmkulisse und ein wenig Grün. Unsere Mutter wird niemals hierherkommen können, ohne Angst haben zu müssen.

Genauso wenig wie wir. "Du lässt sie auf einem Präsentierteller beerdigen!" "Es geht aber nicht um uns, oder was für uns das Beste ist. Es geht um Kisha. Wann kapierst du das endlich?", entgegne ich genervt.

Außer Jason, dem Pfarrer und mir selbst ist keiner gekommen. Das habe ich zu verhindern gewusst, denn natürlich weiß ich, dass mein Bruder recht hat.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass mir das scheißegal ist. Er soll sich zusammenreißen, seine Ängste wegstecken und sich darauf konzentrieren, weshalb wir hier sind. Wir wollen uns von unserer geliebten Schwester verabschieden. Und keiner kann mich davon abhalten, diese Sache mit der nötigen Ruhe durchzustehen.

Jimenez wird kommen, er wird erneut zu schlagen. Vielleicht sogar heute und hier. Es wird nicht schwer für seine Leute sein, mich auszumachen. Sie kennen Easton, wissen, wie er aussieht. Die logische Schlussfolgerung ist einfacher als eine Rechenaufgabe in der 1. Klasse. Wir beerdigen Kisha, und nur er und ich sind anwesend. Wer sollte ich also sonst sein?

Durch meinen heutigen Auftritt habe ich dem Phantom, vor dem sich alle in die Hosen scheißen, ein Gesicht gegeben. Sie wissen nun, wer ich bin. Sie werden in Erfahrung bringen, wo sie mich finden können, und sie werden mich kriegen. Früher oder später. Das ist so sicher wie das Amen in der Trinity Church.

"Sie wissen jetzt alle, wer du bist. Du hast dadurch unseren Vorsprung zunichtege macht." Jason kann seinen Kopf kaum ruhig halten. Immer wieder scannt er die Umgebung. "Und wann kommt endlich dieser blöde Pfarrer, damit wir das hier hinter uns bringen können?"

"Ist dir klar, dass man deinen Schiss bis nach Queens riechen kann?" Mit einem strengen Blick wende ich mich ihm zu. "Reiß dich endlich am Riemen!" Ich deute auf den Aushub vor uns. "Das hier haben wir dir zu verdanken. Also, hör auf damit, dich wie ein Kleinkind zu verhalten, und benimm dich wie ein Mann."

Jason weiß, dass es ihn als Nächsten treffen wird. Er ist nicht dumm und kann genauso gut wie ich Jimenez' nächsten Schachzug abschätzen. So gut er sich sonst zu verstecken weiß, so wenig kann er etwas dagegen tun, dass man ihm hier auflauert.

,"Sie ist da Wieso ist sie hier?", fragt er mit solch einer Wut in der Stimme, dass mir umgehend klar ist, von wem er spricht.

"Sie würde gern dabei sein, aber wollte nicht direkt zu uns stoßen, weil sie weiß, wie sehr du dich darüber aufregen würdest. Und wie man sieht, hatte sie recht", antworte ich ruhig, hebe den Kopf und nicke Katelyn zu.

"Du bist sie also immer noch nicht losge worden?" Jason beißt die Zähne zusammen. Seine Wangen zittern. Die Hände ballen sich zu Fäusten, und er gibt leise Geräusche von sich, die an das Grollen eines wütenden Hundes erinnern.

"Nein, das bin ich nicht, und das werde ich auch nicht." Ich sehe ihn warnend an. "Sie gehört zu mir. Für immer." Jason lacht ungläubig und gehässig zu gleich. "Sie ist ein Bulle!"

"Das interessiert mich nicht!" Wenn er wüsste, was ich weiß, hätte er Katelyn bereits eine Kugel in den Kopf gejagt. Als sie mir vor wenigen Tagen offenbart hat, dass sie hinter Maria Jimenez' Mörder her sind, hat sie das nicht ohne Grund gemacht. Sie ahnt etwas. Ich konnte ihre Angst förmlich riechen, als ich ihr die Handschellen angelegt habe. Katelyn wusste nicht, ob sie sich gefahrlos in meine Hände begeben kann. Das habe ich ihr bewiesen, dennoch wollte sie kurz da nach die Flucht ergreifen.

Da ich sie aber bereits vorher durchschaut habe, war mir klar, dass sie versuchen würde, mir eine Falle zu stellen. Am Ende war ich es, der als Sieger hervorgegangen ist. Ich konnte ihr aufgewühltes Nervenkostüm beruhigen, sie in meine Arme schließen, und sie ist geblieben.

Das hat mir etwas Zeit verschafft. Viel wird es allerdings nicht sein. Sie sucht mit Hoch druck nach Kishas Mörder. Das hat oberste Priorität für sie, und solange sie denkt, Maria Jimenez' Tod wäre eine Verbindung dazu, wird sie mir zwangsläufig schon sehr bald auf die Spur kommen.

"Alles, was du in letzter Zeit tust, ist un durchdachte Kacke", schimpft Jason. "Du musst sie gehen lassen. Sie wird uns vernichten..." Er hält kurz inne und sieht wieder in ihre Richtung. "Das sehe ich ihr an." "Du übertreibst."

"Ich warne dich jetzt ein letztes Mal: Regle das, oder ich tue es."

Jetzt hat er es tatsächlich geschafft, mir meine Trauer zu versauen und mich wütend zu machen. "Du drohst mir? HIER?" Ich verenge die Augen.

"Ja, hier. Ich habe die Schnauze gestrichen voll von deinen idiotischen Handlungen, nur weil du nicht von ihrer Muschi loskommst!"

Ich weiß, was in seinem kranken Kopf vorgeht. Doch das werde ich nicht zulassen. Er wird sie nicht bekommen. Ich werde ihn auf halten, selbst wenn es das Letzte ist, was ich tue. Blut ist nicht in jedem Fall dicker als Wasser. Das wird auch er noch begreifen. Katelyn steht mir mindestens genauso nah, wenn nicht sogar noch näher als er. Das hat sie schon immer.

Wenn er das bis jetzt nicht begriffen hat, dann wird er meine Wut zu spüren bekom men. Wenn es nötig ist, werde ich ihn kaltmachen. Keiner hindert mich daran, meine Ziele zu erreichen. Keiner darf sich mir in den Weg stellen. Auch er nicht. Ich gewinne immer.

| NYC King - Du wirst mich Lieben |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt