Das Wetter verschlechterte sich in den nächsten Tagen zusehends. Es schneite immer wieder und die Straßen der Londoner Innenstadt schienen aus nass-klebrigen, schwarz-grauem Schneematsch zu bestehen. Man musste aufpassen, dass man nicht ausrutschte und wenn man geduckt gegen den Schnee durch die überfüllten Einkaufsstraßen eilte, vergaß man fast, die prachtvolle Weihnachtsbeleuchtung und die protzig-kitschige und wunderschöne Dekorationen der Regents Street zu bewundern.
„Stell dir vor, wie schön es auf dem Land sein wird: Stahlendweißer, pulvriger Schnee. Das beschauliche Dorf mit den schiefergedeckten Stein- und Fachwerkhäusern. Frische Luft, Ruhe..." Jenny seufzte ekstatisch, während wir die Straße überquerten und dabei einem der roten Doppeldeckerbusse auswichen. Durch eine erstickende Auspuffwolke hüpften wir auf der anderen Straßenseite auf den Gehweg und mussten uns im glitschigen Schneematsch aneinander festhalten, um nicht auszurutschen.
„Das klingt wirklich gut." Ich musste fast gegen den Verkehrslärm anschreien und betrachtete missmutig meine durchweichten Schuhe, die offenbar kein bisschen wasserdicht waren, denn es fühlte sich an, als stünde ich mit Socken in einer Pfütze. „Wo musst du noch hin?"
„Ich brauche noch ein Geschenk für meine Großmutter."
„Was schenkst du ihr?"
Meine Frage ging in einem lauten Hupen unter und ich musste sie wiederholen. So langsam freute ich mich wirklich auf unseren Kurztrip aufs Land, der ein wenig Ruhe vor der ganzen Hektik der Großstadt versprach.
Jenny zwinkerte und richtete ihre Kapuze, die sie vor dem Schneeregen über ihr kurzes Haar gezogen hatte. „Sie trinkt jeden Tag ein Gläschen und behauptet, es halte sie jung. Also bekommt sie Alkohol."
„Das trifft sich gut, meinem Dad will ich diesen schottischen Whisky schenken, von dem er so schwärmt", sagte ich grinsend und hakte mich bei ihr unter. Wir schlugen den Weg zu einem Spirituosengeschäft ein. Jenny hatte schnell einen edlen Tropfen für ihre Großmutter gefunden und ich fand den Whisky für meinen Vater. Die Geschenkte für meine Mutter, Großmutter, Sandra und die Zwillinge hatte ich längst besorgt. Aber beim Gedanken an den Streit mit Sandra vor ein paar Tagen bekam ich ein flaues Gefühl im Bauch. Ich hasste Streit und gerade jetzt vor Weihnachten war die Vorstellung, dass ein Schatten über dem Fest der Liebe hängen könnte, fast unerträglich für mich. Ich versuchte mit abzulenken, indem ich Jenny auf eine besonders gelungene Lichtinstallation an einem der Kaufhäuser aufmerksam machte und dann, im Weitergehen, wieder auf unser bevorstehendes Wochenende zu sprechen kam. Ob das weihnachtlich dekorierte Heatherfield Castle mit der Dekoration der Regents Street mithalten konnte? Ich hegte da so meine Zweifel, aber darauf kam es auch gar nicht an, sondern darauf, endlich einmal nicht für alle jeder Zeit erreichbar und abrufbar zu sein und einfach ein paar Tage mit meiner besten Freundin auszuspannen. Unsere Koffer waren schon gepackt und morgen, in aller Frühe, würde es mit dem Zug losgehen.
„Und, hast du inzwischen nochmal mit deiner Schwester gesprochen?", fragte Jenny im Weitergehen.
„Nein", antwortete ich knapp. Sie konnte ja nicht ahnen, dass ich bis eben verzweifelt versucht hatte, nicht an den Streit mit meiner Schwester zu denken. Jetzt war das flaue Gefühl, das verdächtig einem Schuldgefühl glich, schlagartig zurück. Dabei wusste ich , dass ich mich für den Wunsch nach etwas mehr Freiraum nicht schuldig fühlen sollte. "Ich habe im Moment nicht vor, den ersten Schritt zu machen", sagte ich, obwohl ich in den letzten Tagen genau das mehrmals vorgehabt hatte. Meine Finger hatten immer wieder über der Tastatur des Telefons geschwebt. Doch jedes Mal war es mir gelungen, mich davon abzuhalten, zu Kreuze zu kriechen. Abstand ist gut und richtig, sagte ich mir im Stillen, wie eine Durchhalteparole.
"Gut so", fand Jenny und drückte kameradschaftlich meinen Arm, während wir einen überlebensgroßen Rauscheengel aus Plastik passierten, der Werbung für ein weiteres Kaufhaus machte. "Ich bin stolz auf dich. Bis Weihnachten wird sich schon alles einrenken. Und wenn nicht, feierst du Weihnachten einfach mit mir, meiner Mum und meiner Oma."
DU LIEST GERADE
Love Christmas - A Cinderella Story
RomanceCarolyn ist für alle da: Ihre alleinerziehende Schwester und deren Zwillinge, die pflegebedürftige Großmutter und ihren Chef, für den Überstunden nichts zählen. Für sich selbst bleibt keine Zeit. - Bis sie ihre beste Freundin zu einem vorweihnacht...