6

247 28 72
                                    

Carolyn

Warum? Warum hatte ich so dermaßen peinlich hinfallen müssen? Ich wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken, als ich wie ein tollpatschiger Pinguin übers Eis geschlittert bin, diesem unglaublich gutaussehenden Kerl direkt vor die Füße. Ich konnte ihm nicht einmal verübeln, dass er mich ausgelacht hatte. Ich hätte an seiner Stelle auch gelacht. Vermutlich glaubte er, ich sei betrunken. Gott, wie peinlich! Dabei war ich nur tollpatschig, was schlimm genug ist. Ich hätte mich auf Jennys Idee, beim Eislaufen ein Video für sie zu machen, überhaupt nicht einlassen dürfen. Ich war definitiv zu ungeschickt für solche Aktionen. Es grenzte an ein Wunder, dass ich mir nichts gebrochen hatte und noch erstaunlicher war, dass es mein Handy überlebt hatte.

Der Hausmeister mit dem freundlichen Lächeln und dem Dunbrookschen Wappen auf der Mitarbeiterjacke war nett gewesen. Er hatte mir aufgeholfen und sich nach meinem Befinden erkundigt, zweimal. Und er hatte nach meinem Namen gefragt. Das verwirrte mich und sorgte dafür, dass meine Gedanken, während ich auf dem Weg zur Bushaltestelle noch einen Abstecher zum Souvenir-Shop machte, noch länger bei ihm verweilten.

Während ich mir im Souvenirshop Tassen, Kugelschreiber, Postkarten, einen Bildband und Schneekugeln mit Heatherfield Castle in Miniatur ansah, dachte ich also an ein markantes, gutaussehendes Gesicht, dessen einziger Makel eine etwas zu ausgeprägte, gebogene Nase war, die es jedoch nicht vermochte, seine ansonsten perfekten Züge zu verunstalten. Warme braune Augen, ein entschlossener Mund mit schmalen Lippen, die sich gern zu einem Lächeln verzogen, so dass ein Grübchen im rechten Mundwinkel erschien. Eine großgewachsene, schlanke Gestalt, kräftige Hände, sandfarbenes, kurzes, leicht verstrubeltes Haar... Unwillig schüttelte ich den Kopf. Es war absolut nicht meine Art, wegen einer simplen, netten Geste in Schwärmereien zu verfallen. Dieser Hausmeister war nett gewesen, ja, aber vermutlich wurde er von seinen Arbeitgebern dazu angehalten, den Besuchern höflich zu begegnen. Schließlich arbeitete er hier. Das hatte mir seine dunkelblaue Jacke mit dem Firmenlogo, oder eher gesagt dem Grafenwappen, und das Sammelsurium aus mehreren Schraubenziehern, kleiner Zange und Kugelschreiber, die aus der Brusttasche der Jacke lugten, verraten. Mein Dad lief auf den Baustellen, auf denen er arbeitete, auch immer so rum. Andererseits gehörte es wohl nicht zu seinem Job, Besucher nach ihrem Namen zu fragen. Und die Frage, warum er das getan haben mochte, beschäftigte mich definitiv mehr, als sie sollte. 

Ich erstand im Shop zwei von diesen kleinen Plastikfotoapparaten für Kinder, durch die man beim Betätigen des Auslösers wechselnde Bilder von Heatherfield Castle im weihnachtlichen Lichterglanz sehen konnte, für die die Jungs eigentlich schon viel zu groß waren, und zwei Schmuckdosen mit Motiven von Heatherfield Castle, gefüllt mit Shortbread, für meine Familie und die Kollegen im Büro. Für Jenny kaufte ich eine Tasse und für mich selbst eine Schneekugel. Beim Bezahlen sah ich auf die Uhr und erschrak. In weniger als fünfzehn Minuten fuhr mein Bus. Der letzte für heute in Richtung Heatherton. Aber bevor ich zum Bus ging, musste ich dringend auf die Toilette. Ich hätte im Souvenirshop nicht so lange trödeln und an ein Grübchenlächeln denken dürfen. Also spurtete ich nach dem Bezahlen sofort zu der Glastür mit der Aufschrift Toilets. Die Verkäuferin wies mich noch freundlich darauf hin, dass sie in Zehn Minuten schließen würde, aber ich hatte nicht vor, lange zu bleiben, und rief ihr über die Schulter zu, dass ich ohnehin zum Bus müsse und mich beeilte. 

Nach der Glastür ging es einen Gang entlang und dann ein Stockwerk tiefer. Die Treppe war schmal, aber gut beleuchtet. Pfeile an der Wand wiesen mir den Weg. Am Fuß der Treppe kamen mir zwei ältere Frauen mit Tüten vom Souvenirshop entgegen. Ich hörte sie zueinander sagen, dass sie sich beeilen mussten, wenn sie den Bus erwischen wollten. Willkommen im Club! Dann schloss sich die Tür hinter ihnen. Der weiß und flaschengrün geflieste Raum war leer und ich hatte alle drei Kabinen zur Auswahl. Ich wählte die ganz links außen, zog beherzt die Kabinentür hinter mir zu und schloss ab. In aller Eile erledigte ich mein Geschäft, spülte und bekam die Tür nicht auf. 

Love Christmas - A Cinderella StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt