David
Mein Körper fühlte sich seltsam taub an. Irgendwie als wäre ich gar nicht wirklich da. Nur das unterschwellige, aber stetige, Pochen in meinem Arm, dort wo mich Bates Messer gestreift hatte, bewies mir, dass das alles wirklich passierte. Wie ferngesteuert ging ich nach unten, wo die Polizisten bereits die Schaulustigen fortschickten und den Tatort mit Flatterband absperrten. Bates' Leichnam lag auf dem mit Blut vollgesogenen Teppich. Ich musste erschaudernd den Blick abwenden, als ich daran vorüberging. Ein Polizist hob für mich hilfsbereit das Flatterband an und warf mir einen mitleidigen Blick zu. Ich musste ziemlich erbärmlich aussehen, zumindest fühlte ich mich so. Ich hatte noch nie gesehen, wie sich jemand in den Tod stürzte und ich hätte gerne auf diesen Anblick verzichtet.
Das Portal, mit den geschnitzten Flügeltüren, stand offen und das blaue Blinken der Polizeiautos, die kreuz und quer vor dem Schloss standen, während sich überall Schaulustige in Abendgarderobe herumdrückten, wirkte unwirklich. Weil ich Carolyn noch auf der Terrasse vermutete ließ ich den Eingangsbereich links liegen und ging durch den Saal nach draußen.
Byrne der gerade mit einem Kollegen gesprochen hatte, ließ diesen stehen und folgte mir. Sein weißes Hemd hatte im Brustbereich ein paar Schweißflecken, aber ansonsten schien er sich ganz gut von der Verfolgungsjagd erholt zu haben.
„Wo wollen Sie hin?"
„Zu meiner Freundin", antwortete ich knapp. Auch wenn sich mein Gehirn gerade wie in Watte gepackt anfühlte, war dieser Gedanke mehr als präsent.
„Ich komme mit", sagte er, rief seinem Kollegen etwas zu und folgte mir.
Ich wurde von Bekannten und Fremden angesprochen, deren Fragen ich unhöflich ignorierte. Ich ging einfach ohne ein Wort an ihnen vorbei und Byrne setzte eine unfreundliche Miene auf, die die weniger Neugierigen zurückweichen ließ. Die Reporter waren jedoch hartnäckig und gegen Byrnes Blicke resistent. Sie waren von den Polizisten abgewimmelt worden und sahen jetzt in mir ein gefundenes Fressen. Roy Miller war nicht dabei. Ich ignorierte auch sie und hörte Byrne irgendetwas zu ihnen von laufenden Ermittlungen sagen, und dass es später eine Pressemitteilung geben würde. Bis dahin könnten sie ebenso gut gehen und die Polizei ihre Arbeit machen lassen.
„David?!"
Das schreckensbleiche Gesicht meiner Mutter tauchte vor mir auf. Ich hatte sie seit dem plötzlichen Tod meines Vaters nicht mehr so verstört gesehen und die Erinnerung versetzte mir einen zusätzlichen Stich. Onkel Desmond war neben ihr, blass aber gefasst.
„Was ist passiert?", fragte sie leise. "Geht es dir g- gut?"
Ihr Blick wanderte zu meinem Arm mit dem aufgeschlitzten Ärmel. Der Stoff glänzte feucht von frischem Blut, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass es inzwischen aufgehört hatte zu bluten. Da war nur der dumpfer Schmerz, aber er war erträglich.
"Ja, ich bin okay."
Auch wenn mich jede Faser meines Körpers und meines Herzens zu Carolyn zog, konnte ich meine verstörte Mutter nicht so einfach stehen lassen. Ich zog sie und meinen Onkel ein paar Schritte zur Seite, während Byrne aufpasste, dass kein Außenstehender mithörte.
„Bates hat sich vom obersten Treppenabsatz gestürzt. Er – in der Halle..." Erst jetzt, da ich versuchte, das Geschehene in Worte zu fassen, wurde mir das Grauen dessen, was ich beobachtet hatte, richtig bewusst. Das taube Gefühl wich, dafür versagte mir die Stimme und ich fand keine Worte mehr. Ich dachte an den langgezogenen Schrei, in der Luft rudernde Arme, die vielleicht doch noch versucht hatten, im Fallen irgendwo Halt zu finden. Der dumpfe Aufprall der alles beendet hatte. Viel zu viel Blut, das vom Teppich aufgesogen wurde, ein Kopf der kein Gesicht mehr hatte und Gliedmaßen, die in unmöglichen Winkeln abstanden. Mir erschauderte, in meinem Magen rumorte es, und ich schloss die Augen, um mich zu sammeln. Als ich sie nach einigen konzentrierten Atemzügen wieder öffnete sah meine Mutter noch verstörter aus und auch mein stoischer Onkel war blass. Byrne nickte leicht, einvernehmlich, als würde er verstehen, was gerade in mir vorging. Er hatte schließlich gesehen, was ich gesehen hatte. Vielleicht hatte er so etwas schon öfters erlebt.
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Love Christmas - A Cinderella Story
RomanceCarolyn ist für alle da: Ihre alleinerziehende Schwester und deren Zwillinge, die pflegebedürftige Großmutter und ihren Chef, für den Überstunden nichts zählen. Für sich selbst bleibt keine Zeit. - Bis sie ihre beste Freundin zu einem vorweihnacht...