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„Guten Morgen, Carolyn mein Schatz. Es ist lieb von dir, dass du mich zum Arzt bringst."

Granny stand schon fertig angezogen, mit Anorak und einer ihrer selbstgestrickten Mützen, die sie auf ihre dauergewellten grauen Locken gedrückt hatte, und dankbar lächelnd mit ihrem Rollator im Flur und hatte auf mich gewartet.

„Hallo Granny." Liebevoll zog ich sie in eine Umarmung. „Du bist ja schon komplett angezogen. Bin ich zu spät?"

„Aber nein, Liebes. Ich wollte bloß nicht, dass du auf mich warten musst. Da habe ich mich schon mal gerichtet. Ich weiß ja, dass du nachher noch zur Arbeit musst. Da wollen wir keine Zeit verlieren."

Ich lächelte und brachte kurz nichts hervor, weil ich einen Kloß im Hals hatte. Es war für mich selbstverständlich, dass ich sie zum Arzt begleitete, weil sie sich den Weg allein und auf den Rollator angewiesen, nicht mehr zutraute. 

„Ich hoffe, du wartest noch nicht lange. Du musst in den warmen Sachen eingehen vor Hitze. Lass uns gehen."

"Es geht halt alles nicht mehr so schnell."

Grannys Gesichtsausdruck wandelte sich in grimmige Entschlossenheit, sobald die Haustür offen stand. Sie wirkte immer ein bisschen wie ein Kriegsberichterstatter, der in ein Krisengebiet gehen muss, wenn sie das Haus verließ. Sie war schlecht zu Fuß und ihre Augen waren auch nicht mehr die besten und ihre Reaktionsfähigkeit eingeschränkt, so dass ihr der Straßenverkehr wirklich Angst machte. Aber sie bemühte sich, es sich nicht anmerken zu lassen.

Ich ließ sie an der Haustür kurz stehen und trug ihr den Rollator die wenigen Stufen zum Gehweg hinab. Dann versicherte ich mich, dass sie sich an dem alten Metallgeländer gut festhielt und nahm ihren anderen Arm. Schritt für Schritt ging es nach unten. Sie atmete hörbar auf, als wir den Gehweg und ihren Rollator erreichten und sie sich wieder dran festhalten konnte. Ein stolzes Lächeln erschien in ihrem faltigen Gesicht.

"Gehen wir, Schätzchen."

Der Weg zur Arztpraxis war nicht sehr weit, aber wir mussten zwei Straßen überqueren. Eine weitere Herausforderung für Granny, weil sie immer Angst hatte, nicht schnell genug von der Straße zu kommen, wenn die Ampel umschaltete. Ich blieb dicht bei ihr und versuchte sie ein bisschen abzulenken.

„Mein Chef gibt mir heute ein bisschen früher frei, weil ich noch so viele Überstunden habe und der Termin mit der Immobilienfirma gestern gut gelaufen ist. Ich dachte, ich gehe mit den Jungs zum Winter Wonderland in den Hyde Park."

„Ach, da werden sich die beiden aber freuen."

„Ich weiß. Wir können Karussell und Riesenrad fahren." Ich half ihr mit dem Rollator an der hohen Bordsteinkante.

„Ich hoffe, das ist nicht zu teuer. Als ich jung war bin ich immer gerne Kettenkarussell gefahren", erinnerte sich Granny, während wir weiter den Gehweg entlanggingen. 

„Und es gibt einen ganzen Palast aus Eis, mit Skulpturen und allem aus Eis."

„Wie schön! Geht Sandra auch mit?"

„Nein, aber das ist okay."

Meine Großmutter warf mir einen kritischen Seitenblick zu, aber sie ließ das Thema fallen. "Und wie geht es deiner Freundin, Jenny?"

"Ihr geht es gut, Granny."

„Schön, dass ihr noch immer beste Freundinnen seid. Du solltest dir auch langsam einen Freund zulegen."

Ich wurde für einen Moment einer Antwort enthoben, weil ein Krankenwagen mit Sirene vorbeibrauste. Die Ambulanz schluckte meinen Seufzer, denn ich dachte an David. Wieder mal. David, der sich mit Kristie Donner versöhnte. In einer selbstzerstörerischen Laune hatte ich mir gestern Abend im Bett ihr Profil auf Instagram angesehen. Sie schien ihr ganzes Leben mit ihren Followern zu teilen. Unter ihren aktuellen Posts war ein Reel, der sie bei der Anprobe von Abendkleidern für den Silvesterball in Heatherfield Castle zeigte. Sie sah wunderschön und strahlend aus und die Kleider wirkten exklusiv. Auf einem anderen Foto war das Restaurant zu sehen, in dem ich David mit Kristie gesehen hatte. Sie hatte vornehmlich die Fassade und den Schriftzug fotografiert, aber David war im Bild, im Anzug, den langen Mantel, der seine breiten Schultern betonte, offen darüber. Er hatte einen Autoschlüssel in der Hand und sah nicht in die Kamera. Vielleicht hatte er gar nicht mitbekommen, dass sie ihn fotografiert hatte, aber das Hashtag #oldlove versetzte mir einen Stich. Kristie konnte natürlich damit ihr Lieblingsrestaurant meinen, aber so naiv war ich nicht.

Love Christmas - A Cinderella StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt