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„Bin ich satt!", murmelte Carolyn, lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und seufzte wohlig.

„Keine dritte Portion Schokomousse?", fragte ich freundlich und bot ihr die Schüssel an.

„Oh Gott, nein!", rief sie. „Ich hatte wirklich zu viel davon. Wenn ich noch irgendetwas esse, musst du mich ins Bett rollen."

Ich musste lachen. Rachels Essen war wie immer köstlich gewesen und die Stimmung fröhlich und ausgelassen. Meine Rede vor dem Essen war zur Freude aller sehr kurz ausgefallen. Ich hatte unseren Mitarbeitern für die gute Arbeit gedankt, einen kleinen Überblick zum diesjährigen Erfolg der Festive Season at Heatherfield Castle gegeben, sowie einen Ausblick auf das nächste Jahr. Dann hatte Rachel unzählige Schüsseln mit Gemüse, Beilagen und Saucen und Platten voller Fleisch aufgetischt und alle hatten herzhaft zugelangt. Sogar Ryan, der Londons hippen Luxus gewöhnt war, schien sich zu amüsieren. Allerdings lag dies wohl weniger am bodenständigen Essen, als an Fiona, der Verkäuferin vom Souvenirshop, mit der er bereits den ganzen Abend heftig flirtete. Gerade konnte ich beobachten, wie er seine Hand von ihrer Stuhllehne auf ihr Knie legte, während er ihr etwas erzählte und Fiona gebannt an seinen Lippen hing.  

Mein Blick schweifte weiter durch den Raum und blieb an Rose hängen, die sich Wein nachschenkte und dabei über irgendetwas lachte, und weiter zu Joseph, der nach ein Paar Bier wesentlich gesprächiger wurde, als dies normalerweise der Fall war. Er redete gestenreich auf die etwas irritiert dreinblickende Sheryl ein. Mein Blick glitt schließlich zu Carolyn zurück, die an meiner Seite in der Mitte der Tafel saß, und ganz und gar nicht so aussah, als müsse man sie irgendwohin rollen. Im Gegenteil, sie war so zierlich, dass sie ein Windstoß wegwehen könnte, egal wieviel Schokomousse sie gegessen hatte.

„Ich habe wirklich keine Ahnung, wo du die Unmengen Nachtisch hingesteckt hast", bemerkte ich sinnend. „Aber ich glaube im Schuppen haben wir eine Sackkarre, solltest du es wirklich nicht mehr die Treppe hoch schaffen", sagte ich, hilfsbereit, wie ich war.

„Du bist so blöd!", lachte Carolyn und versuchte halbherzig mich gegen den Oberarm zu boxen, aber ich wich ihr geschickt aus. Sie setzte etwas lebhafter nach und ich stieß einen übertriebenen Schmerzenslaut aus, als mich ihre winzige Faust am Oberarm streifte. Ihr betroffener Gesichtsausdruck, als sie mich fragte, ob es weh getan hätte, war zu niedlich.

„Was treibt ihr zwei denn?" fragte Rose, die von irgendwoher hinter Carolyn aufgetaucht war und sich jetzt zwischen uns beide schob und uns abwechselnd musterte. In ihrer Hand hielt sie ein Weinglas.

„Geht dich es dich was an?", konterte ich nicht aus Unfreundlichkeit, sondern eher aus alter geschwisterlicher Tradition heraus.

Rose verdrehte die Augen und schürzte die Lippen. Sie kam wohl zu dem Schluss, dass ich es nicht Wert war, weiter beachtet zu werden. „Kommst du mit, Carolyn? Du musst unbedingt ein paar Leute kennenlernen."

Carolyn ging mit und ich nahm mein Weinglas und begann ebenfalls durch den Raum zu schlendern und hier und da für ein bisschen Smalltalk stehen zu bleiben. Die meisten Anwesenden kannte ich, wie Rachel und Joseph, mein halbes Leben. Daher hatte ich auch kein Problem damit, wenn sich der ein oder andere, der Carolyn neulich noch nicht kennengelernt hatte, nach ihr erkundigte. Ich stellte sie als meine Freundin vor und niemand interessierte es, wer sie war, oder woher sie kam. 

Als ich einige Zeit später raus in den kühlen, dunklen Flur ging, um ein bisschen Luft zu schnappen und einen Blick auf mein Handy warf, sah ich, dass Anthony, mein Anwalt, versucht hatte, mich zu erreichen. Er hatte mir auf die Mailbox gesprochen und ich hörte seine Nachricht mit einer Mischung aus Genugtuung und Zweifel ab. Er hatte nichts neues zu sagen. Bestätigte bloß, was wir am Morgen, während Carolyn noch im Bad gewesen war, und ich auf sie gewartet hatte, besprochen hätten. Doch seine Nachricht hinterließ doch ein bleiernes Gefühl in meinem Magen und dämpfte die weihnachtliche Stimmung. Als ich aufsah, stand Carolyn vor mir.

Love Christmas - A Cinderella StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt