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David

Es ist eigentlich leicht, zum Alltag zurückzukehren. Das tat ich ständig, wenn ich ein Wochenende oder ein paar Tage in Heatherfield Castle verbracht hatte. Ich musste bloß ins Auto steigen, nach London fahren, meine bequemen Klamotten gegen Hemd, Krawatte und Anzug tauschen und hinter meinem Schreibtisch, hinter dem vor einem Jahr noch mein Vater gesessen hatte, Platz nehmen und zur Tagesordnung übergehen. Ich führte ein Doppelleben, das meine Familie und Freunde belustigte und von flüchtigen Bekannten als spleenig angesehen wurde, aber einem Adeligen wurden seine Spleens verziehen. Mit dem Bild, das von mir in der Presse gezeichnet wurde, hatte jedoch weder das Leben in Heatherfield noch das in London etwas zu tun. Das hätte ich Carolyn gerne erklärt.  

Mein Blick schweifte über den überladenen Schreibtisch und ich seufzte. Das zum Alltag zurückkehren gestaltete sich wesentlich schwerer, seit mir Carolyns zutiefst enttäuschter und verletzter Blick nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich hatte kaum geschlafen und war um fünf Uhr wieder aufgestanden und Joggen gegangen. Die Eiseskälte hatte mich wach gemacht, aber meine Gedanken waren noch immer bei ihr.

Ich sollte arbeiten. Entschlossen zog ich eine der Unterschriftenmappen zu mir und klappte sie auf. Mrs Wilde, meine Sekretärin, die schon für meinen Vaters gearbeitet hatte und das Geschäft besser kannte als ich, hatte mir alles, was sich in den letzten Tagen angesammelt hatte, hingelegt. Chronologisch und nach Dringlichkeit sortiert. Der Schreibtisch bog sich fast unter Poststapeln, Unterschriftenmappen und Weihnachtskarten. Damit war ich locker bis nachmittags beschäftigt. Außerdem durfte ich das Mittagessen mit meinem Onkel und meinem Cousin Ryan nicht vergessen, das eher ein Geschäftsessen war, weil beide ebenfalls der Chefetage von Dunbrook Real Estate angehörten.

Es fiel mir schwer, mich auf die Unterlagen vor mir und das Tagesgeschäft zu konzentrieren. Die Erinnerungen an die vergangenen Tage ließ sich nicht abschütteln und statt der Buchhaltungsunterlagen, die ich lesen sollte, dachte ich an ein schmales Gesicht mit seelenvollen Augen, scheu und gleichzeitig vertrauensvoll, und weichen Lippen, einem warmen Lächeln. Ich dachte an ihren schmalen, warmen Körper, der sich beim Aufwachen an meinen geschmiegt hatte, ihren Duft, wirre Haare, die unter einer roten Strickmütze hervorlugten. Ihre Hand in meiner. Carolyns Schock, als sie die Wahrheit erfahren hatte, ihre berechtigte Wut, der Abschied am Bahnhof, der keiner gewesen war

Den Abschied hatte ich genauso verbockt, wie alles andere. Ich hatte im falschen Moment das Falsche gesagt und sie hatte nichts mehr gesagt, weil der Zug abgefahren war. Das war's. Ein kitschiger, filmreifer Abschied auf dem Bahnhof. Wie in einem billigen Remake von Casablanca, bloß ohne Nazis, aber ohne Happy End, genau wie im Film. Was hatte ich auch erwartet?

Ich seufzte und wünschte, dass es wenigstens keine Beweisfotos von diesem Moment gäbe, aber es gab welche. Ich hatte den Fotografen gesehen, als ich dem dicken, kurzatmigen Typen Platz gemacht hatte, der hatte einsteigen wollen. Ein schmieriger Typ mit strähnigem, lichten Haar, ungepflegten Dreitagebart und einem abgetragenen grauen Anorak, dafür aber mit einer sehr teuren, modernen Kamera in den Händen. Ich kannte ihn sogar von früheren Gelegenheiten vom Sehen. Er hatte an der Treppe zum Bahnsteig gestanden, halb verdeckt von einer Säule. Ich wusste nicht, wie lange er schon dort gestanden hatte, aber sein zufriedenes Lächeln hatte mir gezeigt, dass er bekommen hatte, was er wollte. Er hatte fotografiert, wie ich zu Carolyn sagte, was ich gesagt hatte. Er hatte zwar die Worte nicht verstehen können, aber er hatte festgehalten, wie ich mich zu ihr gebeugt hatte, nah genug, um sie berühren zu können. Er hatte festgehalten, wie wir uns angesehen hatten, ihren überraschten Blick. Er würde Rückschlüsse daraus ziehen. Rückschlüsse die sehr wahrscheinlich falsch waren. Bei seinem Lächeln, dem Lächeln eines Jägers, der seine Beute erlegt hatte, war es mir kalt den Rücken runtergelaufen. Dann hatte er grüßend genickt, und sich abgewandt. In dem Augenblick hatte ich gehört, wie der Zug anfuhr und ich hatte mich endlich und viel zu spät zum Zug und zu Carolyn umgedreht. Sie stand unbeweglich am Fenster und im nächsten Moment hatten wir einander aus den Augen verloren. Ich war mit dem Gefühl, dass viel zu viel ungesagt geblieben war, auf dem Bahnsteig zurück geblieben. 

Love Christmas - A Cinderella StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt