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Der Flur lag dunkel vor uns, aber David fand mit schlafwandlerischer Sicherheit den Lichtschalter und führte mich zielstrebig durch Gänge und über Treppen zurück zu meinem Zimmer. Das Licht warf auf unserem Weg bizarre Schatten an die stuckverzierten Decken und vertäfelten Wände, während andere, weiter entfernte Bereiche, vollkommen im Dunkeln blieben. Unwillkürlich fragte ich mich, ob es hier spukte. Als ich ihm diese Frage stellte, lachte er mich aus. Sein Lachen vertrieb seine seltsame Anspannung von gerade eben. Er ging vollkommen gleichmütig neben mir her und ich hielt mich nah bei ihm. Egal, was er sagte: Es hätte mich gar nicht gewundert, wenn hinter der nächsten Ecke ein Geist hervorgekommen wäre.  Die Erlebnisse des Tages hatten nicht nur äußerlich Spuren bei mir hinterlassen. Auch wenn ich die Müdigkeit von vorhin überwunden hatte, satt und ein bisschen beschwipst vom Wein war, fühle ich mich angeschlagen und verletzlich. Und er strahlte Sicherheit aus.

Der Weg zu meinem Schlafzimmer kam mir kürzer vor, als ich ihn in Erinnerung hatte. Ehe ich es mir versah, und noch bevor ich die Gedanken an Poltergeister und Damen in Weiß vollkommen verdrängt hatte, blieben wir vor der geschnitzten Tür stehen.  

„Wo schläfst du eigentlich?", fragte ich, um etwas zu sagen. Etwas anderes, als Gute Nacht jedenfalls. Denn die Vorstellung, gleich ganz allein in dem großen Gästezimmer zu sein, war mir unangenehm. Ich wollte mich noch nicht verabschieden.

„Im Südflügel", erklärte er, ohne, dass mir das groß weitergeholfen hätte. Ich hatte keine Ahnung wo Süden, geschweige denn der Südflügel, lag. „Weit genug von deinem Zimmer entfernt", fuhr er lächelnd und in Anspielung auf mein anfängliches Misstrauen fort. Aber mittlerweile kam mir mein Misstrauen vollkommen übertrieben vor. Schließlich hatte er bisher nichts anderes getan, als mir zu helfen. Ohne ihn würde ich noch immer in einer engen Toilettenkabine festsitzen.

Der bloße Gedanke ließ mich erschaudern und David, der mich unverwandt ansah, bemerkte es. 

„Alles okay?"

„Klar", behauptete ich bemüht munter und mit einem Lächeln. Ob ich ihn oder mich selbst überzeugen wollte, ist schwer zu sagen. 

Er antwortete mit einem Lächeln, aber sein Blick blieb wachsam auf mich gerichtet, als merke er, dass mein Lächeln aufgesetzt war und dass in Wirklichkeit gerade sehr viel mehr in mir vorging.  Die Stimme der Vernunft, die mich davor warnen sollte, einem vollkommen Fremden zu vertrauen, war bei Rührei und Rotwein sehr viel leiser geworden. Jetzt überwog dafür das Gefühl, dass ich absolut nicht wollte, dass er mich allein ließ. Weil ich zu lange allein in dem Klo gesessen hatte, weil mich das Schloss einschüchterte, weil ich mich in seiner Gegenwart sicher fühlte, weil ich ihm vertraute, auch wenn ich das eigentlich nicht tun sollte. 

"Danke für das Rührei und den Wein."

"Die Masche muss ich mir merken", sagte er mit lässigem Ton und einem halben Lächeln, das aber wie das meine nicht ganz echt wirkte. Er musterte mich weiter forschend und es fiel mir schwer, seinem Blick standzuhalten. „Ist wirklich alles okay?"

Er hob die Hand und legte sie mir sacht auf die Schulter. Es war eine fast zaghafte Berührung, vollkommen unschuldig, aber solide und verlässlich. Und sie löste etwas in mir. Einen Knoten, der schon so lange in meinem Innern gewesen war, dass ich dessen Existenz vollkommen vergessen hatte. Bis jetzt jedenfalls. Plötzlich fühlte ich mich einfach nur noch ausgelaugt. Ich wollte nichts sagen und nichts denken. Nicht mehr so tun als wäre alles okay. Das war es nicht. Schon lange nicht mehr. Meine Batterien waren leer. Ich war erschöpft, ohne wirklich müde zu sein. Nicht nur von dem heutigen Tag. Ich war seit Wochen erschöpft, aber ich hatte es mir nie richtig eingestanden. Stattdessen hatte ich funktioniert und es damit noch schlimmer gemacht. Jenny hatte recht gehabt als sie mir diese Auszeit hier verschafft hatte. Ich brauchte sie. Ich verstand bloß nicht, warum diese Erschöpfung gerade jetzt wie eine Welle über mir zusammenbrach. Warum sie mich gerade jetzt fast in die Knie zwang, mir das Atmen schwer machte. Ich schämte mich für meine Schwäche vor David, der mein aufgesetztes Lächeln sofort durchschaut hatte und der in meinem Gesicht las, wie in einem offenen Buch. 

Love Christmas - A Cinderella StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt