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David

„Wie steckt deine Familie die Sache mit den Fotos weg?", fragte ich, nachdem Carolyn die Jungs nach Hause gebracht hatte und wir zusammen zur U-Bahn-Station zurückgingen. Ohne das ununterbrochene Geplapper der Jungs im Hintergrund war es sehr still und gerade waren nicht viele Leute in dem Wohnviertel, durch das wir gingen, unterwegs. Unsere Schritte hallten auf dem Asphalt und ich wich einem tiefen Schlagloch aus.

„Granny war geschockt, aber seither erwähnt sie die Fotos mit keinem Wort mehr. Es ist fast unheimlich, wie cool sie bleibt, aber vielleicht wird sie bloß langsam senil. Meine Mutter war entsetzt, aber es ist schwer zu sagen, warum eigentlich. Sie ist gerne mal entsetzt. Meinen Dad habe ich noch nicht gesehen, weil er immer arbeitet. Er weiß vermutlich von nichts. Und Sandra hatte mir nicht zugetraut, einen heißen Kerl aufzureißen. – Sorry, das waren ihre Worte." Sie sah zu Boden.

„Damit kann ich leben." Ich musste grinsen.

Carolyn gab ein unbestimmtes Geräusch von sich und schob ihre Hände in die Taschen ihrer Jacke. Es war offensichtlich, dass sie das alles kein bisschen komisch fand.

„Lass sie doch alle reden", sagte ich.

„Darum geht es nicht."

„Worum geht's dann?"

Sie stieß ein frustriertes Stöhnen aus und blieb stehen. „Sag du es mir, David. Warum wolltest du mit auf den Rummel kommen?"

Ich war ebenfalls stehen geblieben und blickte im Schein einer Straßenlaterne in ihr Gesicht. „Weil ich Zeit mit dir verbringen wollte."

„Aber warum?"

Ich schob meine Hände in die Manteltaschen und sah den Dampfwölkchen nach, die von unseren Mündern in die Dunkelheit aufstiegen. Es war arschkalt. „Ist das nicht offensichtlich?"

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ist es nicht."

Ich räusperte mich und fühlte mich ziemlich hilflos und unbehaglich. Nichts von dem, was mir auf der Zunge, lag schien halbwegs adäquat zu sein. Zumindest nicht hier und nicht jetzt. In Heatherfield hatte ich mich sicher gefühlt, trotz oder gerade wegen der Lüge, die sich unbeabsichtigt zwischen uns aufgebaut hatte. Ich hatte mich hinter dem Missverständnis und der Tatsache, dass ich sie nach dem Wochenende nie wiedersehen würde, verstecken können. Ich wäre fast in alte Muster verfallen, aber meine Gefühle für sie hatten mir von Anfang an einen Strich durch die Rechnung gemacht und jetzt ließen sie mich schweigen.

„Siehst du!?", sagte sie in die zwischen uns entstandene Stille hinein.

Sie hatte in mein Zögern anscheinend irgendetwas hineininterpretiert und wirkte jetzt regelrecht verärgert, als sie mit entschlossenen, schnellen Schritten an mir vorbeiging und mich mit einem noch unbehaglicheren Gefühl zurückließ. Ich verstand sie einfach nicht!

Ich beeilte mich, ihr nachzugehen und holte sie mit wenigen Schritten ein. Zum Glück waren ihre Beine nicht sonderlich lang.

„Was soll ich sehen?"

Sie lächelte fast über meine Begriffsstutzigkeit. Sie musste mich wirklich für einen Volltrottel halten. Vermutlich war ich das auch. „Es ist doch nur das schlechte Gewissen, was dich dazu veranlasst hat, mitkommen zu wollen, oder nicht?"

Das saß und es tat weh, wie ein Faustschlag in den Magen, und doch enthielt es ein Fünkchen Wahrheit, wie ich mir widerwillig selbst eingestehen musste. Natürlich hatte ich ein schlechtes Gewissen, unentwegt. Ich war versucht es zu leugnen, aber ich wollte nichts als Ehrlichkeit zwischen uns und so nickte ich leicht.

„Es spielt eine Rolle, aber..." 

Etwas in ihrem Gesicht veränderte sich. Sie stieß den Atem aus, der sich zu einer etwas größeren Dampfwolke bauschte, was mir ihre Anspannung verriet.

Love Christmas - A Cinderella StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt