Die Begabten 1

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Elodie

Ich lauschte den gedämpften Jubelrufen, die durch die Arena schallten. Und ich hatte sie noch nicht einmal betreten.
Ich schloss die Augen und genoss das Adrenalin, welches durch meine Adern floss. Ich liebte dieses Hochgefühl vor einem Begabtenkampf. Das pochende Herz, das Kribbeln im Bauch und die Macht, die mir als Begabte durch die Adern floss.
Begabte waren Menschen mit außergewöhnlichen Kräften, die hier und da in einer Familie auftauchen könnten.
Es gab Bändiger, die Elemente beherrschen konnten.
Shadows, die mit der Dunkelheit verschmolzen.
Wandler, die ihre Form und Gestalt verändern konnten.
Fackeln, die so hell leuchteten, dass es  einem die Augen ausbrennen konnte. Ich hasste Fackeln.
Und es gab mich. Eine Sirene.
Meine Stimme ließ Menschen alles tun, was ich wollte, wenn ich es darauf an legte. Man konnte sich gar nicht vorstellen, wie mächtig es mich machte.
Jedes Wesen, das in der Lage war, meiner Stimme zu lauschen, war unter meinem Bann, wenn ich es wollte. Man gründete dieses Phänomen der Begabung angeblich auf die Segnung der Götter, doch davon hatte ich noch nie etwas gesehen.
Klar, ich war mächtig, jung und schön, aber was brachte mir das, wenn ich in ein Leben hineingeboren wurde, das von Armut geprägt war. Und Schönheit konnte vergehen.
Diese Segnung hat mich in eine Situation gebracht, in der ich seit fünf Jahren meine Eltern ernähren musste...in der ich mich kaufen lassen musste...Ich war ein Besitztum, eine Sklavin, wenn man es streng nehmen wollte.
Zudem wurde mir nie Vertrauen geschenkt. Niemand wusste, ob jemand auf meinem Befehl handelte oder aus freiem Willen. Vor allem nach Gale...
Das klang schrecklicher, als es war. Ich war berühmt in meinem Land, berühmt für meine Arenenkämpfe, dazu noch bewundert und begehrt. Ich badete in diesem Ruhm.
„Es wurde viel Geld auf dich gesetzt, Elodie." Mein Besitzer, Lord Barem, nannte dies eine aufbauende Rede, wobei er mich nur daran erinnerte, dass ein kleiner Teil des gewonnenen Geldes an meine Familie ging. Er ließ mir meinen Maulkorb abnehmen und drückte mir meine Äxte in die Hände. „Ist das nicht immer so?", hauchte ich und versuchte, meine angespannten Gesichtsmuskeln zu lockern. Barems dunkle Augen schimmerten auf. Meine Stimme schien auch ohne mein zutun Eindruck bei den Menschen zu machen. „Und du hast mich noch nie enttäuscht."
„Begabung?" Barem grinste mich an. „Ich habe keine Ahnung." Mit diesen Worten schob er mich aus meinen Vorbereitungsbereich und in die Arena.
Der Jubel wurde zum Geschrei, als ich den einen Schritt auf den sandigen Boden der Arena setzte. Grinsend begrüßte ich meine Bewunderer und hob siegessicher die Arme. Die Menge rastete aus. Dennoch war ich misstrauisch, Barem wusste normalerweise immer, mit was ich es zu tun hatte.
Die Sonne stand hoch am alyischen Himmel und brannte auf mich hinab. Auf mich und meinen Gegner.
Ich betrachtete den Kerl ungefähr 15 Meter von mir entfernt. Er war groß, sehr groß und gekleidet in einer hellen Rüstung. Er musste sich darin vorkommen wie in einem Heizofen, er schien also kein Alyer zu sein. Niemals würde jemand, der in diesem heißen Land aufgewachsen war, eine helle Rüstung anziehen. Meine Augen taten schon bei seinem Anblick weh. Seine ganze Gestalt war strahlend hell, von seinen weißen Haaren bis hin zur seiner blassen Haut. Wie Milch, auch so durchscheinend, leicht blaue Adern zeichneten sich an seinen freien Händen ab. Er war definitiv ein Ausländer. Es schien, als wäre jegliche Farbe aus ihm geflossen. Er sah aus wie aus einem anderen Universum.
Sein Gesicht war jedoch leider verdeckt, eine metallene Maske verdeckte Stirn und Nase, nur seine Lippen und Augen konnte man erkennen. Letztere waren in einem so bleichen blau, dass ich dachte, ich könne kurz die Blütenblätter einer Mondblume sehen, die wild in meinem Heimatort wuchsen, nichtmal eine Stunde von hier.
Der Gong ertönte und der Kampf sollte beginnen, wir verbeugten uns. Und starrten uns an.
Misstrauisch legte ich meinen Kopf schräg und meine fest geflochtenen langen Zöpfe rutschen von meinen Schultern. Normalerweise griff man mich sofort an, aus Angst, ich würde zu sprechen beginnen. Vorsichtig trat ich einen Schritt näher an meinen Gegner heran. Er tat es mir gleich, schien sein silbernes Schwert aber nicht benutzen zu wollen, das Messer an seinem Oberschenkel blieb ebenfalls unberührt. Also trat ich weiter auf ihn zu, bis uns nur noch zwei Meter trennten.
„Erster Kampf?", fragte ich leise. Der Kerl schien Arenakämpfe nicht zu kapieren, wir waren dafür da, die Menge zu unterhalten. Wir waren das Highlight des Tages!

Er schien wohl neu gekauft zu sein, gegen seinen Willen. Manche Besitztümer sind wohl so, hatte ich oft genug erlebt. Einmal hatte mich ein Wandler gebeten, ihn umzubringen. Er hätte das Leben als Besitztum nicht ertragen können. Aber hätte ich ihm diese Gnade erwiesen, wäre ich selbst tot. Es war verboten, andere Begabte in der Arena zu töten. Barem würde für diesen Verlust aufkommen müssen.

Die Menge murmelte verwirrt und das war schlecht für die Einnahmen Barems.
Mein Gegner schien kurz zu erstarren, seine Augen sich kurz zu verdunkeln, meine Stimme schien auch er irgendwie schön zu finden. „In einer Arena? Ja." Seine tiefe Stimme schickte eine Gänsehaut über meine Haut, doch die Melodie war fremd. Er rollte das „R" ganz sanft und er schien die harten Laute des alyischen zu umgehen. Er klang so...katzenartig, so weich, einfach...gut.
„Unsere Aufgabe ist es, die Leute zu unterhalten und einen Auftritt hinzulegen", er lächelte.
„Das ist mir bewusst." Dieser verdammte Akzent. Er brachte mich ganz aus der Fassung.
„Gut, dann greif mich an!"
Ich steckte meine Macht in meine Stimme, bei der jeder Mann und jede Frau und jedes Kind meinen Wünschen Folge leisten wollte. Mein Gegner hob das Schwert und Adrenalin schoss durch meine Adern, ich grinste.
Er fluchte und seine Klinge landete klappernd am Boden. Ich starrte ihn an und die Euphorie, die ich gerade empfunden hatte, verwandelte sich in Panik. „Meine Damen und Herren, Sie werden Zeuge eines historischen Moments, Sie sehen gerade zwei Sirenen in einem Kampf, wer ist wohl im Stande den anderen zu besiegen?"

Die BegabtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt