Die Begabten 23

22 3 0
                                    

Leith
Ich rettete schnell eine Vase, die drohte von einem Tisch zu klappern.
Bright ließ das ganze Schloss beben im Zorn und ich hob meine freie Hand, als wollte ich ein wildes Tier beruhigen. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Es war schwer meinen Cousin aus der Fassung zu bringen. Ich hatte es nach über zwanzig Jahren geschafft.

„Es ist alles gut. Er mag sie. Er kümmert sich um sie. Er wird sie heute vor dem Abendessen bringen."
„Woher willst du das wissen? Wir waren ewig weg! Wir können ihn gar nicht einschätzen!" Bright schmiss mir seiner Macht mehrere Vasen von den Schränken. Ich kämpfte angestrengt nach Gleichgewicht. 
„Elodie ist in der Lage auf sich selbst aufzupassen.", hauchte ich leise. Ich wollte ihn nicht noch mehr aufregen. Wenn er wollte könnte er das ganze Schloss zum einstürzen bringen. Ich hatte nicht erwartet, dass er so starke Gefühle in so kurzer Zeit entwickeln konnte.

Ich wusste, dass Bright ein sehr leidenschaftlicher Mann war. Die wenigen Frauen, die er geliebt hatte, hatte er aus vollen Herzen geliebt. Er würde alles für die Frau tun, die an seiner Seite war. Sogar unser Zuhause einstürzen lassen. Aber so schnell und heftig, hatte ich es noch nicht erlebt. Er hatte zwar viel mehr Zeit mit Elodie verbracht als ich, aber dennoch konnte ich es kaum glauben. Und es machte mich selbst wütend. Er hatte eine Art Anspruch auf meine Sirene ausgesprochen, ohne mich zu Fragen.

Sie gehörte mir. Sie war meins. Es war schon schlimm genug sie an meinen Bruder zu geben, doch nun auch an meinen Cousin? Wieso sollten sie Beide die schönste Frau auf Erden beanspruchen? Das war nicht fair! Sie hatte an MEINER Brust geweint. Um einen anderen Mann, wohlgemerkt.

Ich hatte mich von ihr fern gehalten, damit die Anziehung nicht zu groß werden würde...und mein Cousin war eingesprungen.

Elodie
Lian wohnte auf der anderen Seite des Schlosses, in einem Flügel, der ganz anders aussah, als der den ich schon gesehen hatte. Es war düsterer hier, aber es war auch viel mehr Glasschmuck an den Decken. Es sah aus, wie ein Himmel voller fallender Sterne. Es war ein mystisches Ereignis.
„Warum hast du mich gemietet?", fragte ich entgeistert, blickte ihn jedoch nicht an.

Mein Innerstes schien wund zu sein. Es war ein ziemliches hin und her heute und die Unsicherheit war allgegenwärtig. Ich wusste nicht genau, was hier los war und wie man sich hier verhalten sollte. Mein Herz raste in meiner Brust und ich konnte diese Aufmerksamkeit nicht genießen, mit dem Druck der damit einherging.

„Weil ich es so wollte.", antwortete er einfach und leise.
„Und was willst du mit mir machen?"
Lian hob eine Augenbraue und betrachtete mich eingehend. Seine fliedernen Augen brannten eine Spur über meinen ganzen Körper.
„Mir würde einiges einfallen, aber das ist ein bisschen verfrüht." Ich hob meine Augenbrauen. Hatte der Kronprinz gerade eine zweideutige Aussage gemacht? Wollte er witzig sein?
„Ich wundere mich, dass du dich über diesen Witz nicht brüskierst, du bist echt ungewöhnlich."
„Ich war ein Besitztum in Alya, da sind die Menschen etwas...wilder. Ich habe schon schlimmeres gehört und gesehen."
„Ach?"
Lian blieb stehen und öffnete mir eine Tür, zu, wie ich realisierte, seinen privaten Gemächern. War das hier überhaupt gestattet? Anscheinend nicht, denn Lian blickte sich noch einmal um und schob mich schnell hinein.
„Wie sah das denn aus?", fragte er, als er die Tür schloss.

„Alya ist bunter, es hat weniger Hemmungen, es gibt nackte Tänzerinnen und Tänzer und dazu mehr Wein mit Honig, als Menschen trinken können...und man hat wirklich versucht alles zu trinken."
Ich runzelte die Stirn bei der Erinnerung an das letzte Fest, das ich besuchen sollte. Der Geburtstag des Lords und natürlich musste er seinen wertvollsten Besitz herumzeigen, wie ein Pferd. Der Vorteil war, dass es niemand gewagt hatte mich anzufassen.

„Warst du eine der Tänzerinnen?", fragte Lian beinahe desinteressiert, doch ich konnte den Unterton in seiner Stimme nicht trauen. Als Sirene, war die Stimme des Menschen sehr einfach zu deuten. Da war unser Werkzeug. Unsere Macht. Unser Leben.
„Was?! Nein. Ich war Sängerin."

Plötzlich begann der Boden unter uns zu vibrieren und ich erstarrte. Was war DAS denn? Ich blickte auf den mamornen Boden und konnte schon beinahe sehen, wie der Boden unter den Platten sich verschob.
„Was, bei den Göttern...", begann Lian, doch er verstummte sofort, als der Boden, wie ein Schrei dröhnte und es stärker wurde. Ich stolperte. Der Kronprinz fing eine Vase auf, die von der Tischkante gerutscht war, doch ließ sie fallen, sobald er sah, dass ich mein Gleichgewicht verlor. Er fing mich auf, doch der Boden unter uns gab einen weiteren Ruck und schickte uns zu Boden.

Der Prinz drehte sich schnell um selbst die volle Wucht des Aufschlags auf sich zu nehmen und ihm wurde kurz die Luft aus den Lungen gepresst. Er keuchte, doch hielt mich fest an seiner breiten Brust. Eine warme Hand vergrub sich in meinen Haaren und drückte meinen Kopf an sein Schlüsselbein. Er drückte mich fest an sich und gab ein paar, für mich unverständliche Worte, in seiner Muttersprache wieder.

Und...dann war es still. Von der einen auf die andere Sekunden war der Boden wieder verstummt.
Lian und ich wagten es nicht, uns gleich aufzurichten. Ich zählte im Kopf 50 Sekunden, bevor er mich los ließ. Dann weitere 40 bis ich es wagte, mich langsam von ihm abzudrücken, um aufzustehen.

Zitternd und wackelig betrachtete ich den verwüsteten Raum. Mein Herz raste. Sowas hatte ich öfters erlebt als mir lieb war. Ich betrachtete misstrauisch den Boden, in der Erwartung Risse und Klüfte darin zu sehen, doch er sah noch tadellos aus. Ein Bändiger hatte seine Macht benutzt und ich kannte, bis jetzt, nur einen Bändiger der Erde an diesem Hof.

Was hatte Bright nun vorgehabt? Ging es ihm gut? Sorge wallte durch mir so heftig, dass ich zusammenzuckte. Dann durchströmte mich eine Panik. Wieso sorgte ich mich um jemanden, den ich kaum kannte? Warum sorgte ich mich auch um Leith, der bestimmt nicht weit von Bright entfernt war.

Wann hatte ich aufgehört Leith zu hassen und misstrauisch gegenüber Bright zu sein?

Die BegabtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt