Die Begabten

Die Begabten 10

Elodie
Ich starrte den Prinzen an und war irritiert.
„Das müsstest du doch am besten wissen.", zischte ich leise.
„Ich kann nur bis zu 5 Personen auf einmal beeinflussen."
Jetzt war ich wirklich überrascht. Dieses Ausmaß, was der Prinz beschreibt hatte ich schon mit 13 überwunden...er hatte seine Fähigkeiten nicht ausgebaut...vielleicht auch kein Vertrauen darin. Wie konnte das einem PRINZEN passieren?! War das nicht die beste Gabe zum herrschen? Waren eine Eltern nicht begeistert?!
„Alle, die in meine Hörweite sind können beeinflusst werden...die Anzahl ist egal.", sagte ich misstrauisch...ich konnte Leith nicht verstehen...normalerweise waren die Verhaltensweisen von anderen immer erschließlich für mich gewesen...sie reagierten entweder mit Angst, Wut oder Verlangen. Der Prinz zeigte keines der drei Reaktionen.
Die beiden mir gegenüber starrten mich nur an.
„Das ist ja UNGLAUBLICH!" Bright hüpfte begeistert auf dem Sitz herum und Leith sah plötzlich so aus als wäre ihm schlecht.
„Hast du...dich überhaupt mit deiner Gabe auseinandergesetzt?! Wir können Menschen sogar über ihre Körperfunktionen hinaus kontrollieren!" Leith antwortete nicht und starrte nur in die Ferne.
Die Stille breitete sich aus und dröhnte beinahe in meinen Ohren. War es ihm unangenehm? Konnte er es nicht besser? Oder wollte er nicht? Ich hasste Stille...ich hatte sie nur mit Gale ertragen können...wenn er mal leise gewesen war.
„Du könntest also 1000 Menschen beeinflussen, wenn du nur ein Megaphon hättest?", fragte der Prinz nach einer Weile nachdenklich.
„Theoretisch schon...an sich habe ich das aber noch nie ausprobiert."
Er nickte, voll in seinen Gedanken versunken.
„Das wird wahrscheinlich auch nicht nötig sein...Du wirst deine Macht eh nicht öffentlich anwenden...das wäre zu gefährlich."
Ich hob meine Augenbrauen, für was wollte der Prinz mich einsetzen? Wieso sollte ich eine Sängerin spielen? Ich wusste nicht mal, ob ich singen WOLLTE. Ich durfte es so lange nicht...ich war mir nichtmal sicher, ob ich sie noch kannte. Vielleicht die Kinderlieder...
Hatten wir überhaupt die gleiche Sprache? Wahrscheinlich nicht...bei ihrem Akzent. Musste ich jetzt Lieder lernen?
Und wieso sollte ich in Gefahr geraten? Ich war doch immer in Gefahr als Arenakämpferin...Ich hatte mit Waffen zu tun. Habe mich mit Bändigern aller Elemente gemessen, einen Gestaltwandter der als Elefant auf mich zugerannt ist. Da hatte mich meine Macht eher gerettet als in Gefahr gebracht. Wieso sollte das in Ferhalla anders sein?

Leith
Ich war geschockt...Elodie konnte ungehindert Menschen beeinflussen?! Sie war auf keine Anzahl beschränkt? Hatte sie da keine Hemmungen? So viel Kontrolle und Macht in einer Person? Was hatten sich die Götter dabei gedacht? Wieso hatte ich diese Kontrolle nicht? Wieso zweifelte ich immer an meiner Gabe und war immer wieder überrascht wenn sie funktionierte?
Ich wollte es gar nicht zugeben, aber ich war neidisch. Sie hatte so wenig Misstrauen in sich selbst, dass sie zu ihrem vollen Potenzial gereift war.
Sie war nicht ohne Grund so berühmt. Sie hatte viel Selbstvertrauen und schien auch in dieser Situation keine Angst zu haben. Sie wusste sie konnte sich schützen. Ich war mir auch sicher, dass sie ohne ihre Macht tödlich sein konnte. Sie wurde Jahrelang mit verschiedenen Waffen trainiert.
Sie wusste sie könnte uns eigentlich töten. Vor allem, nachdem ich offenbart hatte, dass meine Fähigkeit sehr viel Nachholbedarf hatte. Auch ihre Körperhaltung zeigte es. Sie saß entspannt in ihrem Sessel, ihre langen Beine locker übereinander geschlagen...
Das störte mich...wieso war sie kein bisschen eingeschüchtert?! Wir verschleppten sie, so gesehen in ein fremdes Land!
Auf der anderen Seite war ich erleichtert. Ich hätte jetzt keinen Nerv mich mit einer hysterischen Sirene auseinanderzusetzen.
Ihre grünen Augen betrachteten mich neugierig, schien alles in sich aufzunehmen. Meine Stärken und Schwächen. Nun beachtete sie Bright gar nicht, sie fokussierte sich nur auf mich.

Ihren neuen Besitzer...ich durfte eigentlich alles mit ihr tun, was ich wollte...das war beunruhigend. Sollte DAS sie nicht verunsichern? Sie GEHÖRTE mir...ich konnte es gar nicht glauben. Das es so etwas überhaupt gab...
Mein Besitztum. Meines...und ich wollte sie in die Krallen meines Bruders geben. Werfen, besser gesagt. Er sollte ihr Vertrauen, ihr seine geheimen Pläne anvertrauen...das sollte nicht gleich passieren...nicht mit seinen Wachen, die sich die Ohren mit Wachs stopften um meiner Stimme widerstehen zu können.
Um somit den Kronprinzen zu schützen.
Ja, mein Bruder misstraute mir so sehr, dass er ständig Wachen um sich herum hatte, die nicht hören konnten. Die einer Sirene widerstanden...und er kannte mich...erkannte, wenn ich versuchte meine Gabe an ihm anzuwenden.
Er hatte sich einmal von mir beeinflussen lassen...nach seinem Plan. Er hatte mir ein Messer an die Kehle gehalten. Und ich hatte keine andere Wahl gehabt...das hatte ihm den ultimativen Schutz gegenüber mir gegeben.

„Gefahr?", die wunderschöne Stimme der Sirene riss mich aus meinen Gedanken. Sie zerriss die Stille, wie dünnes Papier.
„Ich kenne Gefahr, du musst schon spezifischer sein.", sie lächelte schelmisch, fast schon boshaft und eine Gänsehaut entstand auf meinem ganzen Körper. Nichts konnte ihre Schönheit entstellen. Nichtmal den Schnitt den ich ihr erst vor ein paar Stunden beigebracht hatte...das war erst einige Stunden her. Es könnte auch eine ganze Lebensspanne sein.

„Hofintrigen und Adel, das ist was ganz anderes, als Schlägereien in einer Arena.", sagte ich leise und sofort blitzten mich strahlend grüne hasserfüllt an. Ihre Gefühle schwankten wild hin und her, wie bei einem Pendel.
„Schlägereien?! Das waren Kämpfe gegen Bändiger und Gestaltwandler und Fackeln! Standest du, PRINZLEIN, jemals einer Fackel gegenüber, die dich lieber töten wollte, als ein Wort von dir zu hören? Ich wäre beinahe erblindet!"
Ich betrachtete sie unberührt, obwohl alles in mir schrie. Durch wie viel Scheisse hatte sich dieses...Mädchen durchkämpfen müssen? Wie viel Schmerz? Wie viel Trauma? Hatte sie Narben? Oder Albträume? Wurde sie misshandelt?
Hatte Barem nicht etwas von ihrer Jungfräulichkeit erzählt? War das freiwillig gewesen oder nicht?
„Wie es auch sein mag...es ist etwas ganz anderes..."
„Was denn jetzt genau? Für was brauchst du mich?! Du bist selbst eine Sirene, wenn du Menschen manipuliert haben willst solltest DU an dir selbst arbeiten! Hättest dir ne Menge Geld sparen können.", knurrte sie.
DAS tat weh...musste ich zugeben. Ich rang um Fassung und ich hörte einen erstickten Laut von Bright...so hatte noch nie jemand mit mir geredet...nicht gewagt so mit mir zu reden...ich war immerhin Prinz.
Nur nicht ihrer.
Kein Respekt, keine Ehrfurcht.
„Du wirst meinen Bruder verführen und meine Spionin werden."