Die Begabten 24

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Elodie
Ich spürte Lians Blick auf mir haften, während ich verwirrt den Boden betrachtete, doch ich bewegte mich nicht. Mein innerstes schien sich unangenehm zusammenzuziehen. Ich konnte es mir nicht leisten in diesem Dilemma auch noch Gefühle einfließen zu lassen. Es hatte mich schonmal komplett aus der Bahn geworfen, als ich mich auf Gefühle eingelassen hatte.
Und es verfolgte mich bis heute.

„Elodie?"
Seine tiefe Stimme vibrierte durch all meine Knochen. Ich zwang mich aufzuschauen. Fliederne Augen betrachteten mich eingehend.
„Hast du dich verletzt?"
Zur Antwort, schüttelte ich den Kopf.

Die Tür knallte auf und die Königin, höchst persönlich, eilte in die Räume.
„Oh Götter! Es sieht ja schlimm bei dir...", sie verstummte, als ihre Augen auf mich fielen. Ich wollte zu einem schüchternen winken ansetzten bis mir einfiel, dass das ja eine Königin war, die vor mir stand.
Ich verbeugte mich hastig.

Lian unterdrückte ein Lachen und ich blitzte ihn an. Wie konnte er in dieser Situation lachen?! Am Hof war ich komplett aufgeschmissen. Benimm regeln wurden mir nie gelehrt. Und zwei Wochen Vorbereitungszeit waren gewiss nicht viel.
„Elodie...", begann die Königin und verstummte erneut. Ihr Blick landete auf meine genähte Lippe und sie runzelte die Stirn.
Ihre Augen huschte zwischen mir und Lian hin und her. Ich versuchte ihren Augen auszuweichen. Sie sollte doch nicht zu viel in die Tatsache hineininterpretieren, dass ich in den Kammern ihres ältesten Sohnes stand. Obwohl ich dem jüngeren gehörte. Das hätte nicht so laufen sollen...

„Würdest du uns bitte entschuldigen? Ich muss mit meinem Sohn reden."
Unsicher blickte zu Lian. Er war für diesen Tag mein Besitzer, er musste entscheiden. Es war nicht an mir es zu gestatten, sondern an ihm. Würde er meinen Blick deuten können? Er hatte wahrscheinlich noch nie einen Menschen gemietet.
Lian sah unschlüssig in meine Augen.
„Geh bitte in den Salon." So höflich! Ich hätte beinahe gelacht. Aber nur beinahe.
Er deutete auf eine Tür hinter meinem Rücken und nickend verbeugte ich mich, bevor ich verschwand.

Sofort, als die Tür ins Schloss fiel, hörte ich die aufgebrachte Stimme der Königin auf ihren Sohn einreden.
Seine ruhige Bassstimme antwortete leise.
Ich wünschte ich könnte verstehen, was sie sagten, doch sie hatten die Sprache gewechselt. Es hörte sich an, als würden sie sich anschnurren. Bis ein plötzliches Fauchen mich zusammenfahren ließ. Der Prinz hatte wohl die Geduld verloren.

Ich hörte Schritte und schnell setzte ich mich an den kleinen Tisch, um nicht beim lauschen erwischt zu werden. Lian riss die Tür auf und suchte den Raum nach mir ab. Ich blickte auf und begegnete seinen fliedernen Augen. Ich sah Zorn in seiner Miene aufblitzen und ich legte besorgt den Kopf schief.
„Geht es dir gut?", fragte ich leise.
„Hast du Hunger? Ich denke wir gehen was Essen."
Er packte mich bei der Hand und zog mich, ohne ein weiteres Wort, an der Königin vorbei. Ich versuchte mich an einem Knicks, doch Lian machte keine Pause und ich stolperte hinter ihm her. Er zerrte mich durch die Gänge. Mein Arm schmerzte schon an der Schulter und am Handgelenk.

„HEY!", rief ich nun aufgebracht. Ich konnte es gar nicht leiden so herumgezerrt zu werden. Vorallem nicht, wenn man mir keine Erklärung gab, zudem hasste ich Schmerzen.
„Was ist passiert, Lian?!"
Er erstarrte.
„Du lehnst dich ganz schön aus dem Fenster, du vergisst, mit wem du hier sprichst.", knurrte er und seine Augen schienen in Flammen zu stehen.
„Es ist mir scheiss EGAL, was für einen Titel du hast! Ich bin eine Ratte aus der Gosse, Namen haben dort keinen Wert und das ist was ein Titel ist, nicht wahr? Ein NAME. Also, LIAN WHITEWELL, WAS IST, VERDAMMT NOCH MAL ,PASSIERT?!"

Er starrte mich an und schwieg für eine ganze Weile.
Aber Stille machte mir nichts. Gale war immer still gewesen und es war immer eine schöne Abwechslung von dem Krach der Arena. Diesmal starrte ich jedoch nicht in seine kupfernen Augen. Ich betrachtete Lian, der auf mich herabblickte, zornig.
Eine Hitze schien von ihm auszugehen, was ich an diesem kalten Ort gar nicht für möglich gehalten hatte.

Er atmete tief durch. Dann noch einmal.
„Du bist eine faszinierende Kreatur.", sagte er dann.
„Ich weiss und obendrauf noch wunderschön.", schnaubte ich und verschränkte meine Arme vor der Brust. Offensichtliches auszusprechen würde ihm jetzt auch nicht helfen.
Ich bin die Reinkarnation reiner Perfektion!
Auffordernd hob ich eine Augenbraue. Der Kronprinz seufzte.
„Meine Mutter dachte, ich hätte dich geschlagen, weil du ein Teil meines Bruders bist."
Nun schossen beide meiner Augenbrauen in die Höhe und er zuckte mit den Schultern. Beinahe schon ergeben. Müde.
„Würdest du das etwa tun?"
„Ich gebe zu, mein Bruder und ich haben...unsere Differenzen..."
„Aha.", murrte ich sarkastisch.

„Ich hasse ihn.", gab der Kronprinz dann zu. Naja das war nichts neues für mich und dennoch runzelte ich missbilligend die Stirn. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, meinen Bruder zu hassen. Das wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Jeb könnte mir alles antun, aber Hass hätte er dadurch nicht verdient. Vorallem nicht, wenn es ein Unfall gewesen war.

„Aber du hast mit ihm nichts gemein, ich lasse doch nicht den Hass, den ich für meinen Bruder empfinde, auf ein unschuldiges Mädchen fallen."
„Warum hasst du ihn?", fragte ich zögerlich. Ich wusste nicht genau, wie weit ich mich bei ihm aus dem Fenster lehnen konnte und ab wann er dicht machte.
„Das ist eine lange Geschichte..."

Diesmal bot er mir seinen Arm an und ich hakte mich ein, während er loslief. Das gefiel mir schon fiel besser.
„Zusammengefasst, hasse ich es, dass er es wagt seine...sogenannte Begabung zu seinem Vorteil zu nutzen und dadurch einfach durch das Leben stolzieren kann, wie er will. Keiner kann ihm Einhalt gebieten und keiner will es. Er wirft damit herum, ohne Rücksicht."
Er deutete auf sein eigenes Gesicht, auf seine Narbe auf der linken Seite.
„Wusstest du, dass ich auf diesem Auge blind bin? Mein Bruder hatte einen Wutanfall und ich bin, auf seinem Befehl hin, aus dem Fenster gesprungen."

Ich erstarrte und blieb stehen. Betrachtete den Kronprinzen vor mir. Ich wusste nicht so recht, ob ich wirklich überrascht aussah, doch ich erlaubte mir die Narbe in seinem Gesicht zu betrachten, das eine verletzte Auge. Er ließ es über sich ergehen. Betrachtete mein Gesicht währenddessen, was mich nicht störte. Ich hatte ein schönes Gesicht.
„Ein Hass, geboren aus Schmerz ist kein richtiger Hass.", sagte ich leise während ich meine Hand hob um die weiße wulstige Linie in seinem Gesicht entlangzufahren.
Ich ließ den Stromstoß, der durch meinen Körper jagte, zu und genoß ihn, solange ich es konnte.

„Ach? Was soll es dann sein?"
Der Prinz nahm eine meiner rotbraunen Haarsträhnen zwischen seine Finger und zwirbelte sie. Als wolle er sehen, wie weich meine Haare waren.
„Ein gebrochenes Herz."

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