Die Begabten 18

18 3 0
                                    

Elodie
Meine erste Nacht in Ferhalla brachte mir keine Ruhe. Zu viele Gedanken und Sorgen kreisten in meinem Geist, zu einem nie enden wollenden Karussell. Die Farben des Karussells kreisten zu schnell um einander und vermischten sich zu einem hässlichen Braun. Das Gesamtbild war einfach das größte Chaos und ließ mich nicht ruhen.

Vor drei Stunden hatten Leith und Verra mich in meinen Zimmern zum Schlafen zurückgelassen. Sie waren nicht weiter auf meine Tränen eingegangen und ich war wirklich froh drum. Ich vertraute diesen Adeligen nicht gut genug, um ihnen meine Gefühle und meine Vergangenheit offenzulegen. Das würde mich verwundbar machen. Das konnte nicht passieren.

Ich bin die Reinkarnation reiner Perfektion.

Mein Mantra. Es stützte mich seit Jahren. Und es half mir auch in dieser Nacht in den Schlaf zu sinken...
...um am Morgen total fertig aus dem Bett zu schrecken. Es klopfte sanft an meiner Tür und plötzlich stand eine fremde Person mit einem Tablett in meinem Zimmer.
„Seine Majestät, Prinz Leith, lässt Ihnen ein Frühstück bringen."
Der Junge blickte mich nicht direkt an, sondern platzierte nur das Tablett neben mir auf den Nachttisch und verschwand, genauso schnell, wie er aufgetaucht war.

Neugierig beugte ich mich über das Tablett und entdeckte allerlei Essen, was ich gar nicht kannte. Das meiste dampfte heiß, als wäre es gerade aus dem Ofen gekommen. Vorsichtig griff ich nach etwa, dass aussah, wie ein weiches Fladenbrot und biss hinein.
Eine süße Explosion breitete sich in meinem Mund aus und ich stopfte mich sofort mit diesem köstlichen stücken voll.
Ich kannte diesen Geschmack gar nicht. So ein süßer Geschmack gab es in Alya gar nicht. Wir waren eher auf der deftigen Seite des Geschmacksbildes.

Als alles auf dem Tablett verputzt war, stieg ich aus dem Bett und stolperte, noch ziemlich müde, hinaus in das Ankleidezimmer und stockte, als ich ein neues Kleid auf einem der Stühle darin sah.
Es war ein helles lila, fast schon Flieder. Es war ein dickes Material, aber weich. Es war mit weißem Fell an den Säumen bestückt und sah richtig kuschelig aus. Meine Finger fuhren durch das Fell und versanken darin, wie in Wasser.

Schnell zog ich mich an und dann...wusste ich nicht was ich tun sollte.
Ich saß irgendwie verloren in dem Wohnraum meiner Zimmer, auf einem Sofa, dass mit grünem Samt bezogen war. Ich wartete auf Nichts und Niemanden, doch ich wartete. Die Stille war ohrenbetäubend laut.

Ich vermisste den Lärm von zuhause. Dort wäre es nie zu still gewesen. Dafür gab es zu viele Arbeiter auf den Straßen, zu viele trainierende Begabte in den verschiedenen Räumen, zu viele Zuschauer auf den Plätzen der Arena.
Es war generell sehr anders in Ferhalla. Es war viel...zurückhaltender. Auch dieser Empfang war sehr kontrolliert gewesen, was in Alya beinahe unmöglich wäre. Da wäre die Musik lauter, als die Stimmen der Gäste gewesen. Es wären Tänzerinnen aufgetreten, die sich dann halbnackt auf den Schoß eines Reichen niedergelassen hätten. Wild und bunt.

Ich hatte meinen Kopf in meine Hände gelegt, vollkommen in Gedanken, als es übermütig an meine Tür klopfte.
„Ja?"
Brights Kopf tauchte strahlend im Türrahmen auf. „Darf ich eintreten?"
„Seit wann fragst du DAS denn?" Das war echt eine Überraschung. Sonst war Bright immer in meine Räume gepoltert. Einmal hat er sich auf mein Bett geschmissen um mich zum aufstehen zu bewegen.
„Bei Hofe muss man die Sitte wahren. Meine Mutter würde mich umbringen, wenn sie wüsste, dass ich ungefragt in die Zimmer einer jungen Frau geplatzt bin."

Ich schnaubte. „Vielleicht sollte ich mich mit deiner Mutter mal unterhalten."
„Bloß nicht!", rief Bright und trat in meine Zimmer.
Er drückte mich kurz an sich, nachdem er sich zu mir gesetzt hatte.
„Wie geht es dir? Ich habe gehört...", murmelte er in mein Haar und stockte kurz „...,dass du etwas leidest."
Er betrachtete mich aus violetten Augen und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Als wäre er wirklich besorgt.
„Etwas Heimweh."
„Und da wurde ich nicht gerufen?" Ich antwortete mit einem Schulterzucken und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Er war eine angenehme Gesellschaft und gab mir ein bisschen Wärme in diesem kalten Land.

Er legte einen Arm um meine Schultern und schnipste mit dem Finger. Fasziniert beobachtete ich, wie etwas Blumenerde aus einen Topf schwebte und ein kleiner schneller Tornado entstand. Eine kleine Showeinlage, nur für mich. Um mich aufzumuntern. Ich lächelte, als sich eine kleine Blume formte.
Eine Feuerblume aus Erde schwebte auf mich zu, doch ich wagte nicht meine Finger nach ihr auszustrecken. „Das ist wunderschön!", ich war begeistert und grinste Bright an. Er erwiderte mein Grinsen.
„Jede Macht ist wunderschön.", hauchte er, voll konzentriert, als sich die Form der Figur änderte. Es war eine weibliche Figur, die auf eine Erhöhung stand und sich sanft hin und her wiegte. Sie warf ihre Haare nah hinten und da erkannte ich mich mit meinen sanften Locken. Man sah in Wellen, meine Stimme in einem unglaublich schönen Muster ausbreiten.

„Deine kann man aber auch sehen.", murmelte ich und erwischte Bright, wie er mich betrachtete. „Schönheit ist nicht nur auf einen Sinn beschränkt. Das wäre dann langweilig und unvollständig, kleine Feuerblüte."
Er lächelte und griff nach meiner Hand um mit dem Finger sanft darüber zu fahren, während er sprach. „Es müssen alle Sinne angesprochen werden, um Schönheit zu erkennen."

Ich schwieg. Überrascht von seinen tiefen Einsichten in die Philosophie.

Es klopfte erneut an der Tür und ich zuckte heftig zusammen. Herausgerissen aus der ungewöhnlich vertrauten Situation. Die Erde fiel zu Boden und schnell ließ Bright meine Hand los. Er verhielt sich, als wären wir bei etwas erwischt worden, was nicht sein durfte. Verwirrt blickte ich ihn an, doch sagte nichts.

„Ja?"
Die Tür öffnete sich und Leith trat herein. Er lächelte scheu, als er uns erblickte „Guten Morgen!", rief Bright fröhlich.
„Es ist Zeit.", sagte Leith bedeutungsvoll und verwirrt blickte ich ihn an. Zeit für was?
„Mein Bruder geht jeden morgen eine Runde laufen im Hof, es wäre doch ein glücklicher Zufall ihm dort zu begegnen?"
Ich verstand sofort und lächelte nervös. Der Kronprinz hatte mich gestern schon aus der Fassung gebracht...wie wäre es wenn wir uns zu zweit gegenüberstehen?

Die BegabtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt