Kapitel 278

227 14 6
                                    




Wincent

Ich bekomme um mich herum gar nichts mehr mit. Irgendwann höre ich meinen Namen rufen. Als ich nach oben schaue, kommt Mama auf mich zu. ,,Schatz, was ist denn los?", fragst sie besorgt und zieht mich in ihre Arme. ,,Elli hatte plötzlich totale Schmerzen und nun wird sie notoperiert. Kein Mensch kann mir sagen, was mit meiner Frau ist", sage ich verzweifelt. ,,Shh, alles wird gut", flüstert sie und haucht mir einen Kuss auf die Schläfe. ,,Ich kann das nicht mehr hören. Nichts wird gut", schluchze ich und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Daraufhin erwidert Mama nichts, sondern zieht mich einfach nur enger an mich. ,,Du warst ganz schön schnell hier", murmle ich, als wir ins Zimmer laufen. ,,Habe gerade gekocht, habe einfach alles stehen und liegen lassen." Als ich ins Zimmer komme und das fehlende Bett bemerke, schnürt es fast meine Brust zusammen. ,,Eigentlich müssten wir glücklich sein und bei unserem Sohn sein. Ihn mit Liebe überschütten", flüstere ich und setze mich aufs Bett. ,,Wince, auch wenn es jetzt schwer ist. Du musst für den Kleinen da sein. Er braucht euch und Elli kann gerade nicht für ihn da sein", spricht Mama sanft auf mich ein und streichelt mir über den Rücken. ,,Willst du deinen Enkel kennenlernen", lächle ich. ,,Nichts lieber als das", schmunzelt sie. ,,Dann komm mit", sage ich und stehe auf. Wir laufen runter zur Frühchenstation und klingeln. ,,Darf meine Mama mit reinkommen?", frage ich unsicher. ,,Natürlich", lächelt die Krankenschwester und lässt uns rein. Wir desinfizieren uns die Hände und treten an das Bett. Er schlummert friedlich vor sich hin. ,,Oh mein Gott, er sieht einfach aus wie du", flüstert Mama und streichelt ihm über die Hand. ,,Findest du?", strahle ich. ,,Ja, ich habe gerade ein Déjà-vu. Ich hab das Gefühl als würdest du nochmal hier liegen", lächelt sie. Plötzlich fällt mir was auf. ,,Was ist das?", frage ich besorgt und deine auf den Schlauch der in seine Nase führt. ,,Ich glaube das ist eine Magensonde", sagt Mama. ,,Aber warum braucht er die?", werde ich panischer.

,,Wince, beruhig dich. Der Kleine hat wahrscheinlich ein paar Probleme beim Trinken. Aber das ist ganz normal, er ist immerhin 7 Wochen zu früh", versucht sie mich zu beruhigen. ,,Ist alles okay?", fragt die Krankenschwester, die gerade reinkommt. ,,Warum hat er eine Magensonde?", frage ich besorgt. ,,Er hatte vorhin ein paar Probleme mit dem Trinken und nun bekommt er seine Nahrung über die Sonde. Aber wir probieren es immer mal wieder. Wenn sie wollen, können sie es später selbst probieren", lächelt sie. ,,Gerne und ich bin Wincent", sage ich. Ein paar Minuten später quengelt er ein bisschen und öffnet seine Augen. ,,Wer wird denn da wach", flüstert Mama und hält ihm den Finger hin, den er gleich ergreift. ,,Na aber hallo, du hast aber ganz schön Kraft", schmunzelt sie. Ich müsste doch einfach nur glücklich sein, aber die Angst um meine Frau ist einfach zu groß. Als ich nach seiner winzigen Hand greife und darüber streichle, fange ich unkontrolliert an zu weinen. ,,Wince", flüstert Mama, kommt um das Bett herum und legt einen Arm um mich. ,,Schaut mal, ich habe hier eine klitzekleine Menge Milch. Wollen wir es nochmal Proberen?", kommt Schwester Nadine rein und hält eine kleine Babyflasche in die Höhe. Vorsichtig stehe ich auf, entferne die Decke und hebe ihn auf den Arm. ,,Immer schön das Köpfchen halten", schmunzelt Mama und wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Es ist einfach so ein unglaubliches Gefühl, sein eigen Fleisch und Blut auf dem Arm zu haben. Vorsichtig halte ich ihm die Flasche hin und plötzlich nimmt er sie und nuckelt ganz leicht daran. ,,Ich glaub es ja nicht. Vorhin wollte er von der Flasche nichts wissen", sagt Nadine überrascht. ,,Beim Papa schmeckt es eben am besten", schmunzelt Mama und schießt ein Foto. ,,Das stimmt. Dann hat er ja ab sofort eine Aufgabe", lacht Nadine und geht zu einem anderen Baby im Raum. ,,Das mache ich nur allzu gerne", lächle ich und schaue kurz hoch.

Am Ende hat er echt viel geschafft. ,,Ich bin so stolz auf dich mein Kleiner", flüstere ich und hauche ihm einen Kuss auf die Stirn. Als ich ihn an meine Brust liege, wird er augenblicklich ruhiger. Die Stunden vergehen, Mama und ich tigern zwischen der Frühchenstation und der Cafeteria hin und her. Wir hören einfach nichts von Elli. Ich werde fast wahnsinnig. Mittlerweile haben wir schon 21:00 Uhr und wir wissen immer noch nichts. Elli ist nun schon drei Stunden im OP und keiner weiß was überhaupt los ist. Mama und ich sitzen gerade bei dem Kleinen und ich habe eben zum ersten Mal seine Windel gewechselt. ,,Oh mein Gott", hören wir plötzliche ein allbekannte Stimme hinter uns. Shay steht in der Tür und schaut mit großen Augen auf den Kleinen. ,,Erstmal herzlichen Glückwunsch Bruderherz", strahlt sie und fällt mir um den Hals. ,,Danke", hauche ich und drücke sie ganz fest an. ,,Du bist aber früh auf die Arbeit gefahren", wirft Mama ein. ,,Ich wollte erstmal in aller Ruhe meinen Neffen kennenlernen", lächelt sie und geht an das Bettchen. ,,Mein Gott", flüstert sie mit Tränen in den Augen. ,,Er schaut so perfekt aus." ,,Wie geht es Elli?", fragt Shay und schaut mich besorgt an. ,,Ich habe keine Ahnung. Bis jetzt war noch niemand bei mir", murmle ich und kämpfe mal wieder mit den Tränen. Wir reden noch ein bisschen miteinander, bis Shay zur Schicht antreten muss. ,,Wince, lass und ein bisschen hoch gehen. Du musst mal was essen und bisschen schlafen wäre auch gut", sagt Mama leise und massiert meine Schultern. ,,Aber ich kann ihn doch nicht allein lassen", flüstere ich. ,,Er schläft doch gerade. Es hat immer jemand ein Auge auf ihn. Du musst nun lernen, den Krankenschwestern zu vertrauen", spricht Mama auf mich ein.

In dem Moment kommt Shay rein und schaut nach den Werten der einzelnen Babys. ,,Okay", gebe ich seufzend von mir und stehe auf. ,,Papa kommt später wieder. Hab dich lieb", flüstere ich, hauche ihm einen Kuss auf die Stirn und decke ihn ein bisschen mehr zu. ,,Wir melden uns falls etwas ein sollte", lächelt die Krankenschwester, als wir am Schwesternzimmern vorbeilaufen. Oben in unseren Zimmer setze ich mich erstmal aufs Bett und muss durchatmen. ,,Was habe ich eigentlich falsche gemacht?", flüstere ich und schaue Mama an. ,,Du hast gar nichts falsch gemacht Schatz", seufzt sie und setzt sich neben mich. ,,Warte mal, deine Cousine hat geschrieben. Mal schauen ob mit den Kids alles gut ist", sagt sie und greift nach ihrem Handy. ,,Sie wissen aber noch nicht das der Kleine da ist oder?", frage ich leise. ,,Nein." ,,Okay, könnt ihr es bitte auch noch nicht sagen", erwidere ich. ,,Natürlich, es liegt in eurer Hand wann ihr es ihnen sagen werdet", lächelt sie. Mama holt uns zwischendurch noch etwas zu essen, welches ich mir runter zwinge. Irgendwann lege ich mich hin und versuche mich ein bisschen auszuruhen. Als ich wach werde, merke ich das ich nur eine Stunde geschlafen habe. Mama sitzt neben mir auf dem Stuhl und schläft. Leise schlüpfe ich in meine Schuhe und verlasse das Zimmer. Ich gehe zum Schwesternzimmer und klopfe an. ,,Herr Weiß, ist alles okay?", fragt die Schwester besorgt. ,,Ich weiß es nicht", hauche ich. Mitleidig schaut sie mich an. ,,Wissen sie schon was von meiner Frau?",,Leider nein", antwortet sie. ,,Okay, ich gehe zum Kleinen", sage ich und drehe mich rum. ,,Wir melden uns sofort", lächelt sie mich aufmunternd an.

Als ich Pauls Zimmer betrete, stehen zwei Schwestern an seinem Bett. Sofort werde ich panischer. ,,Ist etwas?", frage ich und trete näher. ,,Keine Angst, wir haben ihn eben nur gewogen und umgezogen, da der Inhalt der Windel nicht dort geblieben ist, wo es hingehört", schmunzelt die Krankenschwester und zieht sich die Handschuhe aus. ,,Und ist alles gut?", frage ich unsicher. ,,Ja, es schaut alles sehr gut aus. Er nimmt sogar schon leicht zu", lächelt sie. ,,Und die sehr volle Windel ist auch ein gutes Zeichen", kichert ihre Kollegin. ,,Wince, hast du was von Elli gehört?", fragt Shay leise und taucht im Türrahmen auf. Auch die Schwestern schauen mich nun aufmerksam an. Leicht schüttle ich den Kopf und sehe Tränen in ihren Augen stehen. ,,Ich hab Angst", flüstert sie kaum hörbar. ,,Ich auch", hauche ich und werde im nächsten Moment schon in ihre Arme gezogen. ,,Shayenne, geht doch einen Kaffee oder einen Kakao trinken", spricht Schwester Kati  und streichelt ihr über den Rücken. ,,Ich muss doch arbeiten", sagt sie leise. ,,Alles gut, das ist für euch als Familie keine einfache Situation. Du hast ja auch gesagt, was für eine Verbindung zu Elisa hast", lächelt ihre Kollegin. ,,Danke, komm", murmelt Shay und greift nach meiner Hand. Kurz schaue ich nach Paul und folge ihr dann. ,,Warte mal kurz", sagt sie und geht nochmal ins Schwesternzimmer. ,,Bisschen frisch", seufzt sie und schlüpft in ihre Sweatjacke. Wir fahren runter und holen uns einen Kakao. Damit setzen wir und hin und schweigen uns einfach an. Es ist kein unangenehmes Schweigen, wir geben uns einfach den notwenigen Halt.

,,Da seid ihr ja", hören wir plötzlich Mama. ,,Hast du uns gesucht?", frage ich. ,,Ja und der Arzt. Kommst du bitte", sagt sie und nun schaue ich sie mir genauer an. Sie hat geweint und das ist nicht zu übersehen. ,,Ich komme mit", flüstert Shay und greift wieder nach meiner Hand. Auf dem Weg nach oben, kralle ich mich an die Hand meiner Schwester. Oben auf Ellis Station steht der Arzt im Schwesternzimmer und trägt etwas in die Akte ein. ,,Ah Herr Weiß, kommen sie bitte mit mir mit", sagt er und schaut mich mit einem undefinierbaren Blick an. Sein Blick geht irritiert zu meiner Schwester. Shay hängt wie ein Schluck Wasser an mir. ,,Ich bin seine Schwester", flüstert sie. ,,Ach so, dann erstmal herzlichen Glückwunsch zum Neffen", lächelt er leicht und greift nach einer Akte. ,,Danke", antwortete sie leise und ich merke wie sie mit ihren Tränen kämpft. Ich lege einen Arm um sie und hauche ihr einen Kuss auf die Schläfe. Wir folgen ihm in sein Büro, wo schon zwei Ärzte warten. Als ich sie sehe, muss ich hart schlucken. ,,Das ist Familie Weiß und das ist ihr Ehemann", stellt uns Dr. Käfer vor. ,,Das ist Dr. Hermann und Dr. Wolf", sie haben ebenfalls Frau Weiß operiert", erklärt er. ,,Wie geht es ihr? Und wo ist sie?", frage ich leise. ,,Setzen sie sich bitte erstmal", antwortet er und deutet auf die zwei Stühle vor dem Schreibtisch. Shay setzt sich neben mich und Mama stellt sich hinter uns. Ich fange augenblicklich an zu zittern. ,,Also Herr Weiß, ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll", räuspert sich Dr. Käfer und faltet seine Hände ineinander. Sofort werde ich panischer und fange an zu zittern. ,,Ihre Frau.."

Aus vielleicht irgendwann, wird irgendwo ankommenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt