Epilog (1)

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I see my future in your eyes ~ Perfect (Ed Sheeran)

Ein Monat später

„Mama! Ich will das Kleid nicht tragen!“, jammerte Enya und hob den Saum an, um nicht zu stolpern. „Du trägst das jetzt und danach kannst du dir eine Hose anziehen, okay? Ich habe das mit dir besprochen! Es ist eine einzige Stunde, Enya.“ Während sich meine Schwester weiter bei meiner Mutter beschwerte, sah ich zu Benjamin, der meine Hand hielt und neben mir durch die Gänge des Schlosses lief. Mein Zuhause.

Ich bewohnte ein Zimmer im dritten Stock, einen Gang neben Benjamins. Diesen einen Gang war ich schon so oft gelaufen, dass ich ihn mit geschlossenen Augen gehen konnte. Das war auch nötig, wenn es zwei Uhr nachts war und ich mich rüber schlich. Meine Eltern sollten drei Räume weiter möglichst unwissend bleiben über die Dinge, die in unseren Zimmern geschahen.

„Woran denkst du?“, fragte mich Ben leise. Ich wurde rot. „An nichts, warum?“ Er grinste. „Du hast gegrinst wie ein Honigkuchenpferd. Wenn ich raten müsste …“
„Musst du aber nicht“, unterbrach ich ihn und er lachte leise.
„Worüber redet ihr da vorne? Was ist so lustig? Ich will mitlachen!“, mischte sich Sophia hinter uns ein, die neben Su lief. „Nichts“, sagte ich, während Benjamin antwortete: „Über Nächte.“ Ich stieß ihm
meinen Ellenbogen in die Seite und er lachte. „Sei leise!“, zischte ich ihm zu. Ben lachte nur noch mehr und auch hinter mir hörte ich meine Freundinnen kichern. Also wirklich! Was- „Worüber lacht ihr so? Ich will mitmachen!“

Ich verdrehte genervt die Augen, während Benjamin sich nicht mehr einkriegte vor Lachen. „Nichts, was-“, setzte ich an, wurde aber durch Sophia unterbrochen. „Über die Nächte unseres Prinzenpaares.“ Marie und Tristan fingen an zu grinsen und ich schnaubte genervt. Mussten sie jetzt alle lachen? „Okay, Leute, reicht dann auch wieder“, erlöste mich Benjamin. „Danke“, zischte ich ihm zwischen den Zähnen zu. „Gern geschehen.“ Ich hörte sein Grinsen deutlich heraus.

„Habt ihr eigentlich schon Mina und Alfred gesehen?“, fragte Marie mit einem Grinsen. „Nein, wieso? Was ist mit ihnen?“ Su war die einzige von uns, die es nicht bemerkt hatte. „Ihre Blicke! Sie sehen sich an, als würden sie den anderen am liebsten sofort Küssen!“, platzte es aus Sophia heraus, die seit fünf Wochen nicht mehr aufhören konnte zu grinsen. Nachdem ihre Eltern davon erfahren hatten, was sie für Konzulesian und im Schloss von Xenia getan hatte, hatten sie ihr erlaubt, Friseurin zu werden. Sie waren nur ein wenig wütend gewesen, als sie die Wahrheit über die Bilder erfahren hatten.

Ich verzog das Gesicht. „Ich weiß! Verstörend!“
„Ich find’s süß“, meinte Marie noch immer grinsend.
„Nee! Wenn ich mir vorstelle, dass ich meine Oma dabei sehe, wie sie mit Alfred flirtet ...!“, sagte Su. Wenigstens eine, die meiner Meinung war. „Ich finde es schön“, sagte Benjamin. „Sie sind beide alt und finden doch noch jemanden, den sie lieben können.“ Also so gesehen …

„Wir sind da. Seid mal bitte leise“, ermahnte uns mein Vater und sofort richtete ich meine Aufmerksamkeit nach vorne. Die Nervosität kehrte zurück und ich strich mir das Kleid glatt, obwohl es keine einzige Falte hatte. Es war das Kleid, dass ich am Anfang der ganzen Geschichte in meinem Schrank gefunden hatte. Das aus Koboldgarn. Benjamin drückte meine Hand um mich zu beruhigen. Du schaffst das. Alles wird gut. Seine Stimme ertönte in meinem Kopf. Ich atmete tief durch.

Zwei Angestellte öffneten die Tür zur Empore. Langsam und nacheinander traten wir ins Sonnenlicht. Unter uns hatte sich ganz Salabon eingefunden und alle jubelten und klatschten zu uns hoch. Unwillkürlich richtete ich mich auf. Es war mein erster offizieller Auftritt vor dem Reich, das ich einmal regieren durfte. Ich freute mich darauf. Es war noch viel zu lernen, aber das würde ich schaffen. Ich hatte Benjamin, der versprochen hatte, mir zu helfen.

Zwei Trompeten fingen an ein Stück zu spielen und als es endete lag Stille über der
großen Wiese. Wie oft hatte ich sie überquert und hatte dabei diebunterschiedlichsten Gefühle empfunden. Und jetzt stand ich hier oben, sah auf sie hinab und war glücklich.

„Meine lieben Bürger von Salabon! Ich freue mich, dass ihr alle so zahlreich erschienen seid! Heute möchten wir euch jemand ganz besonderen vorstellen! Sie hat …“ Ab hier hörte ich nicht mehr zu. Mein Vater zählte alles auf, was mir gelungen war, was meine Freunde garantiert hatten und wiederholte den Kampf. Als ich meine kleine Rede hielt, sah ich in tausende Gesichter. Sie alle sahen zu mir hoch uns hörten zu, was ich zu sagen hatte.

Mir wurde klar, was jemand in meiner Position für eine Macht hatte. Eine unglaubliche. Doch mit dieser Macht konnte ich besser umgehen als mit der Kraft der Elemente. Diese Macht war für mich bestimmt und durch niemanden erzwungen worden. Ich war einfach nur ich.
Als ich meine Rede beendet hatte, in der ich von meinen eigenen Erfahrungen und Problemen mit Xenia und meinen Kräften gesprochen hatte, applaudierten die Leute so sehr, dass ich das Vibrieren am ganzen Körper spürte. Ich fühlte mich gut. Unglaublich gut. „Pssssst“, hörte ich eine Stimme. Ich drehte mich um, konnte aber niemanden sehen. Also lauschte ich weiter dem Applaus, der nun durch die Stimme meiner Mutter unterbrochen wurde.

„Wir werden uns nun in die Stadt begeben, wo wir feiern werden! Wir werden die Leute feiern, die gestorben sind, um ihr Reich zu schützen. Wir werden die Leute feiern, die mutig den Kampf gekämpft haben. Wir werden die Leute feiern, denen es gut geht. Auf die Freiheit!“ Das ganze Volk von Salabon wiederholte den Ausruf, bevor sie sich nacheinander in die Luft begaben. Ganz toll. Anscheinend war ich wirklich die einzige Aniral in ganz Konzulesian, die nicht fliegen konnte. Meine Eltern verließen zuerst mit Enya die Empore, dann Benjamin und ich und die anderen.

„Psssssst! Meine Güte! So taub kannst du doch gar nicht sein!“ Die Stimme von vorhin ließ mich zur Seite schauen. Vor meinem Gesicht schwebte eine Liesel. „Hugo?!“, fragte ich ungläubig. Er grinste. „Ja! Mich wirst du nicht los! Fantasia hat mit mir gesprochen und mir gesagt, dass du uns noch immer hören kannst. Kobolde übrigens auch.“ Er klang unheimlich stolz, als er von Fantasia erzählte. „Wie hat sie denn mit dir gesprochen?“, fragte ich und lief neben Benjamin weiter durch die Gänge, der so in eine Diskussion mit den anderen vertieft war, dass er unser Gespräch gar nicht wahrnahm.

„Sie stand vor mir, wie denn sonst! Und dann hat sie den Mund auf und zu gemacht. Das nennt man reden, liebe Emilia. Das ist eine Gabe, die-“
„Das meinte ich nicht“, unterbrach ich ihn. „Ich wusste nur nicht, dass sie das Herz von Konzulesian verlassen kann.“
„Natürlich kann sie das!“, meinte Hugo entrüstet. „Wie soll sie denn sonst mit den Aniral, Lieseln und Kobolden kommunizieren?“
„Ich weiß es nicht, vielleicht durch Träume oder so?“ Außerdem meinte sie doch, dass sie nicht oft Gesellschaft hätte, oder?

„Nee. Sie kann aber nur einmal im Jahr nach Konzulesian kommen. Und dieses Jahr hat sie mich ausgesucht! MICH!“ Er machte einen Salto in der Luft. Ich grinste. Dass ich noch mit Lieseln und Kobolden reden konnte, fand ich nicht schlimm. Ganz und gar nicht. Ich war die einzige Aniral, die sie verstehen konnte. Die armen Dinger brauchten doch jemanden, mit dem sie reden konnten.

„Sie hat auf jeden Fall noch gesagt, dass ich dir ausrichten soll, dass du, ich zitiere: Deinen Verstand benutzen sollst. Was meint sie damit? Dass du dein Hirn endlich mal einschalten sollst?“
Ich nickte. „Ja, so ungefähr.“ „Ha!“, rief Hugo. „Ich wusste doch, dass du immer ohne Gehirn gehandelt hast!“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das-“

„Was hältst du davon?“, fragte mich Benjamin und hielt mich davon ab, Hugo zu antworten. Ich runzelte verwirrt die Stirn. „Wovon?“
„Davon, dass wir uns später vom Fest schleichen und früher zurückfliegen. Es ist Vollmond.“ Ich lächelte. „Das klingt gut.“ Er nahm als Antwort meine Hand und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe.

Als wir draußen standen, hoben alle ab und schwebten über mir. Ich sah zu ihnen hinauf. Das war so unfair! Warum konnte ich das nicht? Aus Protest hob ich trotzdem die Arme und sprang ab. Ich rechnete damit, gleich wieder auf dem Boden zu landen und zappelte mit den Füßen, doch ich fiel nicht. Ich blieb in der Luft!

Ungläubig sah ich in die Gesichter der Anderen. Marie, Su und Tristan grinsten, während Sophia und Benjamin eher misstrauisch aussahen. Ich verharrte regungslos auf einem Fleck. Würde ich gleich wieder stürzen? Würde ich wieder fallen? Als auch nach einer Minute immer noch nichts passiert war, begann ich, breit zu grinsen. Ich konnte fliegen!

Die Kraft der Elemente - Alles liegt in deiner HandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt