Kapitel 46: James - Kleinigkeiten

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James

Beinahe hätte ich sie geküsst. Ich wollte es. Ich wollte sie küssen. Bis mir eingefallen ist, wer ich war und wer sie war.
Die letzten Jahre hatte ich mich von Frauen die nicht perfekt waren ferngehalten. Ich hatte sie für faul und ungepflegt gehalten. Hatte dicke Menschen regelrecht gehasst. Nur un dann festzustellen, dass sie mir einfach gefährlich werden konnten.
Denn es lag nicht nur an Ella. Ich steckte in Schwierigkeiten und das wusste ich.
Aber ich war James Sinclaire und das Leben war kein beschissener Liebesfilm. Ich war nicht für Beziehungen gemacht. Ich bekam schon Panik wenn meine Uhr zu eng saß. Auch wenn Ella es immer wieder schaffte die Regeln zu brechen, die ich aufgestellt hatte, war ich doch noch immer ich.
Ich wollte keine Freundin oder gar eine Frau. Ich wollte keine Kinder. Keine Familie ich kam alleine klar und was noch wichtiger war. Jeder Mensch wäre besser ohne mich dran. In meiner Familie gab es keine guten Eltern. Es gab keine Liebe und keine Zuneigung. Wir waren ein Haufen von Junkies und Dealern.
Ich hatte mich schon früh dagegen entschieden und alles dafür getan aus dem Sumpf zu kommen. Und ich hatte mich dafür entschieden keine Kinder zu bekommen, niemals zu heiraten, mich niemals zu verlieben. Und es hatte immer gut funktioniert. Damit war ich gut gefahren. Ich hatte gefickt, gevögelt und vergessen.
Und doch hatte ich Ella küssen wollen. Nicht weil ich sie ficken wollte. Was ich zwar tat. Aber darum war es nicht gegangen. Es war aus einem Eigenartigen Drang entsprungen ihr nah sein zu wollen. Und das machte mir Angst.
Dann war da noch ihre Familie. Ich beneidete sie darum. Ihre Brüder liebten sie, ihre Mom vergötterte sie. Sie waren die Art von Familie die kein Blatt vor den Mund nahmen und sich trotzdem liebten.
Auch wenn Matheo mich hasste. Vermutlich wusste er dass ich sie am liebsten ausziehen würde. Vermutlich war das die Aufgabe eines großen Bruders. Man entwickelte wohl einen siebten Sinn für sowas.
Adrian war der ruhigste der Runde und war der Typ Beobachter. Ich glaubte er wusste mehr über jeden einzelnen in der Familie als die anderen und er schien auch mich sofort zu durchschauen. Dabei war ich mir kicht mams icher, was es bei mir zu sehen gab.
Lucas war das Nesthäckchen und das Problemkind. Jedenfalls wenn man den anderen zuhörte. Dass ein Mann mit einubdzwanzig gerne feiern ging und mal die Nacht wegblieb, hielt ich für normal. Aber ich war auch mit dreiunddreißig so und somit wohl kein Maßstab.
Und dann gab es da noch Kathrina. Sie sah aus wie Ella, nur älter und weicher. Sie wirkte so mütterlich, dass ich mir wünschte sie könnte mich adoptieren, auch wenn es dafür schon zu spät war. Aber sie schien auch irgendwie besorgt. Vielleicht war das ein Allgemeinzustand bei vier Kindern. Aber es wirkte irgendwie ermüdend und ich fragte mich, wer ihr die Sorgen abnahm?
Ach und Ella. Ella, die gerade vor mir lief, mit ihren langen, dunklen, glänzenden, welligen Haaren, die Uhr über den Rücken fielen, als sie den Kopf in den Nacken legte um nach oben zu sehen. Ihre Augen leuchteten wie die eines Kindes am Weihnachtsmorgen. Wie flüssiges Karamell blitzten sie auf und als sie mich ansah, blieb mir kurz die Luft weg. Sie sollte mich nicht so ansehen. Denn was ich darin sah, machte mir Angst. Es machte mir Angst, weil ich wollte, dass sie mich so ansah. Nur mich und niemanden sonst. Ich war wirklich am Arsch. Warum hatte ich zugestimmt hierher zu kommen? Ich hätte sie rausschmeißen sollen, wie ich es mit jeder anderen auch gemacht hätte. Aber Ella war nicht jede andere und genau da lag das Problem. Ich wusste nicht, was ich fühlte. Vielleicht war ich zu feige zuzugeben, was ich fühlte. Aber es war da. Egal wie sehr ich es ignorierte.
Sie griff nach meiner Hand und zerrte mich durch einen schmalen Gang. "Ich zeig dir meine Lieblingstelle." Rief sie über ihre Schulter und bevor ich reagieren konnte, standen wir in einem langen schmalen Gang, in dem jeder freie Milimeter mit Blumen bedeckt war. Der Geruch war intensiv und erschlagend. Aber Ellas Blick war es Wert. Sie begann regelrecht zu leuchten.
"Als Kind habe ich es hier geliebt." Sagte sie und sah sich aufgeregt um. "Hat sich nicht viel geändert, hme?" Sie lachte und schüttelte den Kopf.
Ich musste zugeben, dass es unglaublich war. Es war bunt und fröhlich und irgendwie surreal. Sie holte ihr Telefon aus ihrer Tasche und hielt es so in die Luft, dass sie ein Selfie machen konnte. Ungelenk beugte ich mich vor, doch sie griff nach meinen Armen und legte sie um sich, so das ich sie umarmte. Sie lächelte warm und mein Blick war auf ihr Gesicht auf dem Bildschirm gerichtet. Dann klickte sie den Auslöser und nickte zufrieden, bevor sie ihr Handy wieder einstecken und mich weiterzog.
Wir folgten dem Gang bis zum Ende und Ella entschied, dass es Zeit war uns auf die Suche für kleine Geschenke zu machen. Sie half mir für ihre Brüder Kleinigkeiten zu finden. Für Adrian eine Schallplatte von einer Band, die ihr Vater immer mit ihm gehört hatte, ich aber nicht kannte. Auch wenn sie mir, ziemlich gut, den bekanntesten Hit der Band vorsang.
Für Lucas ließ sie mich einen Ledergürtel kaufen. Mit einer silbernen Schnalle. Er war schlicht, aber schön. Er war Wertigkeit genug, als das ich ihn verschenken konnte. Auch wenn sie mich dafür belächelte.
Bei Matheo überlegte sie lange. Und ich verstand wieso. Er gehörte zu dem Typ Mensch, der sich besorgte, was er brauchte. Und ich kannte ihn nicht ansatzweise gut genug.
"Er hat immer von diesem Buch gesprochen. Aber ich weiß nicht mehr wie das heißt." Sagte sie und runzelte die Stirn. "Wie wäre es mit einem Gutschein?" Sie schnalzte mit der Zunge. "Nein. Gutscheine sind keine richtigen Geschenke." Erklärte sie mir Kopfschüttelnd. "Er liebt es zu kochen. Wir finden schon was." Erklärte sie mir und sie ging zu ihrer Mom. Kurz überlegte sie.
"Ich habe eine Idee." Sagte ich aber, bevor sie etwas sagen konnte. Überrascht musterte sie mich. "Echt?" Ich nickte. Gespannt sah sie mich an.
"Naja mir ist aufgefallen, dass die Fotos an den Wänden relativ alt sind und ich dachte mir, wir machen ein neues und dafür braucht sie dann einen Rahmen, den sie aufhängen kann." So ausgesprochen klang das irgendwie doof. Und Ella starrte mich an, weshalb ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie unsicher ich war. Doch dann begann sie zu lächeln. Ein breites Lächeln. Ein echtes Lächeln. "Das ist eine fantastische Idee. Sie wird es lieben!" Ella lachte fröhlich.
"Oh man. Wenn ich nicht aufpasse, dann adoptiert sie dich noch. Und dann wärst du mein Bruder." Ein Witz. Ich wusste es war ein Witz. Aber er konnte nicht ferner von der Realität entfernt sein. Egal was wir waren. Was ich fühlte. Ich war definitiv nicht Ellas Bruder.

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