Prolog (1)

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Damian

Eine Hexe darf nicht leben.

Alle hatten sie ihm diesen Satz eingeschärft. Die Priester, die Diener, sein Vater. Was das betraf, teilten sie ausnahmsweise eine Meinung: Hexen waren eine wandelnde Gotteslästerung. Sinnbilder des Sündenfalls. Sie mussten getötet werden. Vernichtet, bevor ihre bloße Existenz Strafe für das ganze Land nach sich zog.

So weit, so logisch.

Aber warum, warum, lebte diese eine dann noch? Und wie zur Hölle kam sie in seinen Garten?

Wecke die Hexe! Die Stimme hallte in seinem Kopf wider, als hätte er sie gerade erst gehört. Nicht männlich, nicht weiblich, nicht jung, nicht alt. So wie man es sich eben von einem Gott erwartete. Die Bilder dazu waren noch genauso klar: Ein steinerner Pavillon in den privaten Gärten, umrahmt von Marmorsäulen. Und auf der Säule links von ihm, das Reliev.

Damians Hand zitterte leicht, als er die getrockneten Kletterrosenranken beiseite schob. Wenn es wahr sein sollte, wenn er nicht geträumt hatte-

Etwas Dunkles hob sich vom Stein ab. Selbst im diffusen Licht der Fackel erkannte er aus dem Marmor getriebene Ovale und filigrane Linien, verschlungen zu einem Bild. Eine Blüte.

Er schlucke. „Also wirklich eine Vision." Auf einmal fühlte sich sein Hals trocken und geschwollen an. Dass sein Herz von unten gegen den Brustkorb hämmerte, machte den Druck auf seiner Kehle nur schlimmer. Ein Teil von ihm hatte immer noch an einen Traum geglaubt. Ein ungewöhnlich realistischer Traum, ja, aber trotzdem. Die Alternative war einfach zu erschreckend. Sein Vater hörte Stimmen, nicht er. Es war das Vorrecht des Königs. Sein Privileg. Seine Bürde.

Sprich zu niemandem darüber.

Wieder schluckte er bei der Erinnerung an die Worte im Traum. Vielleicht lag es an dieser mysteriösen Unpässlichkeit seines Vaters? In den letzten Wochen war er kaum zu sehen gewesen. Wenn Gott wusste, dass der König krank war, wendete er sich dann seinem Erben zu? Das wäre logisch. Womöglich war dieser Auftrag als Bewährungsprobe gedacht? Ein Test, ob er würdig war, seinem Vater nachzufolgen? Wäre nicht das erste Mal, dass Gott so etwas tat, um die Treue seiner Anhänger zu prüfen. Diesmal war er wohl dran.

„Bist du sicher?" Er konnte Thalias besorgten Geschichtsausdruck sehen, halb beleuchtet von der Fackel in ihrer Hand. Die andere Hand hatte sie um den Griff ihres Schwertes geschlossen. „Wir sollten wenigstens Verstärkung-"

„Nein." Sprich zu niemandem darüber. Gut möglich, dass er schon einen Fehler gemacht hatte, als er Thalia einweihte. Diese Angelegenheit brauchte nicht noch mehr Mitwisser. Thalia war loyal, er vertraute ihr mit seinem Leben. Das konnte er nicht für seine gesamte Leibgarde sagen. „Ich weiß genau, was uns erwartet."

Deswegen hatte er aber nicht weniger Angst.

Damian ließ seinen Blick an der Säule vorbei durch die Dunkelheit wandern. Hohe Mauern rings herum gaben den Gärten der Königin die Illusion von Privatsphäre. Schon als Kind hatten er hier gern gespielt, denn es war einer der wenigen Orte im Schloss, wo ihn garantiert niemand störte. Seit dem Tod seiner Mutter kam kaum jemand mehr her. Der halbe Hofstaat glaubte, ihr Schicksal sei eine Art Fluch, den man sich zuziehen konnte, wenn man zu nah dran war. Und sei es nur an von ihr gepflanzte Rosen.

Dabei lohnte sich die Aussicht. Vom erhöhten Pavillon aus gaben die Mauern den Blick auf die Bucht von Thisbe frei. So spät in der Nacht konnte man fast vergessen, dass sich der königliche Palast auf einem Hügel über der größten Stadt des Landes befand. Wie verirrte Glühwürmchen leuchteten die letzten Lichter von Laternen und Fenstern inmitten der schattigen Häuserschluchten. Dahinter lag die endlose schwarze Weite des Meers.

Für einen Moment schloss er die Augen und atmete die salzige Luft, die der Wind den Hügel hinauftrug. Sie vermischte sich im Garten mit dem Duft nach Rose und Lavendel. An einem lauen Frühlingsabend wie diesem war es schwer zu glauben, dass es in der Welt Kräfte gaben, die nur auf Hass und Zerstörung aus waren. Und dennoch...

Damian straffte die Schultern, wappnete sich. Dann legte er eine Hand auf die steinerne Blüte. Suchend tasteten seine Finger über kalten, glattgeschliffenen Marmor, glitten in die Vertiefungen unter den Blättern. Er drehten sie mit einem kräftigen Ruck. Genau wie es der Damian in seiner Vision getan hatte. Fast im selben Moment hob sich in der Mitte des Pavillons eine Trittplatte. Die vertrockneten Roseblätter am Boden raschelten, als sich die Platte zurückschob und ein viereckiges Loch freigab.

Neben ihm sog Thalia scharf die Luft ein. „Was ist das für ein Mechanismus? Meinst du...?"

Sie sprach es nicht aus. Allein das Wort zu sagen, war in diesen Tagen schon Ketzerei, aber ihm war das egal.

„Magie", bestätigte er mit grimmiger Miene. Er trat einen Schritt vor, bis zum Rand der Öffnung. Sie war gerade groß genug für eine Person. Steinstufen führten hinab in die quadratische Schwärze, aus der ein kühler Luftzug heraufwehte und um seine Knöchel strich. Damian fröstelte. „Du musst nicht mitkommen."

Er hörte eine Bewegung hinter sich, als Thalia an seine Seite trat. Ein paar Rosenblätter trudelten in die Tiefe. „Ich gehe dahin, wo du hingehst. Vor dem Garten stehen zwei Wachen, damit wir nicht gestört werden. Falls nötig, können die eingreifen."

„Also gut." 

Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt