Zwischenspiel: Die Schlange im Garten

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-Dieses Kapitel sollte eigentlich noch vor dem letzten kommen-

Während Mera in Kores Armen einschlief, so friedlich wie seit langem nicht mehr, war jemand anderes hellwach. 

Hitze lag auf den Palastgärten von Thisbe, strahlte vom Boden aus in die kühler werdende Nachtluft, vermischte sich mit der feuchten Schwüle der künstlich bewässerten Pflanzen. Das blinkende Lichtermeer der Stadt war schon beinahe erloschen, so spät war die Stunde. Um diese Zeit verirrte sich niemand in den ummauerten Garten mit seinem Rosenpavillon. Aber auch tagsüber war der Ort meist einsam, obwohl er sehr zentral lag.  Es war der Lieblingsort der verstorbenen  Königin gewesen und der König mied ihn seit jeher. Jeder wusste es. Und das war gut so. 

Manchmal war die beste Tarnung nicht Dunkelheit, sondern zu viel Licht. 

Die Gestalt lief fast lautlos über den Rasen und stieg die Steinstufen zum Pavillon hinauf. Sie kam nicht oft her, etwa alle paar Monate zur Kontrolle und dazwischen immer wenn sie in besonders schadenfroher Laune war. Hin und wieder musste auf beiden Seiten die Erinnerung an den jeweils anderen aufgefrischt werden. 

Ihre Hand legte sich auf das Blumenrelief. Der schwarze Abgrund öffnete sich und sie stieg hinab in die Finsternis. Sie brauchte keine Fackel, ihre Füße fanden den Weg wie von selbst. Schließlich war sie es gewesen, die diese Gruft erbaut hatte. Ein Gefängnis für die gefährlichste Waffe und größte Liebes des Feindes. Es musste ihm so wehtun, zu wissen, dass sie hier allein im Dunklen litt. Freiwillig, für die Verräterin, die leider nicht  getötet werden durfte. Aber das war ein kleiner Preis für die Gefangenschaft der Rivalin. Und ewiger Schlaf war immerhin fast so gut wie tot, woran sie ihre Gegnerin immer wieder gerne erinnerte. Was für ein sinnloses Opfer. Auch nach siebzehn Jahren war es noch zum Lachen. 

Nach den Stufen öffnete sich der Tunnel zur ersten unterirdischen Kammer. Die Gestalt hielt inne und nahm einen tiefen Atemzug. Etwas fehlte, das merkte sie sofort. In der Gruft hatte immer ein schwacher menschlicher Geruch gelegen, durchsetzt von Pfirsich und Kräutern. Jetzt war da nur noch kalter Stein. Wenn sie ein Herz gehabt hätte, dann hätte es jetzt einmal laut gepocht vor Schreck. 

Langsam trat sie näher an den steinernen Sarkophag. Ein Blick zum Torbogen dahinter verriet ihr, dass er nach wie vor fest verschlossen war. Die Gestalt trat vor die steinernen Umrandung und sah darüber hinweg ins Inne. Dorthin, wo die Frau lag.

Oder eher gelegen hatte. 

Zischend wich sie zurück, bedrohlich wie eine Schlange. Fassungslos starrte sie in das Bett aus Spina-Ranken. Zerschnitten und zerfetzt. 

Die Akolytin war fort.

Ihre Hand fuhr über die spitzen Dornen, deren Stängel mit glatten Schnitten zerteilt worden waren. 

Das konnte nicht sein. Niemals war sie allein erwacht. Jemand war hier gewesenen. Jemand hatte ihr geholfen. Oh, sie würde es herausfinden. Und sie würde die kleine Verräterin jagen. Sie und alle, die ihr geholfen hatten.

Sie schloss die Hände um den Rand des Sarkophags, so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Zorn, kalt wie Eis, durchzuckte sie. 

Dann riss sie den Kopf nach oben und stieß einen Wutschrei aus, der die unterirdischen Wände erzittern ließ.




Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt