Veronika erklomm den Dünenkamm. Sie hatte eine bunte Wolldecke aus ihrem Zelt um die Schultern gelegt und ihr Kleid raschelte leise, als sie sich neben ihn setzte. „Kein besserer Ort für einen Blick in die Sterne als die Wüste", sagte sie sanft, aber ohne ihn anzusehen. „Ich habe immer das Gefühl, hier ist einem der Himmel ein Stück näher."
Damian dachte an Lux in seinem Traum und schnaubte. „Wenn ich einem im Moment nicht nah sein will, dann dem Himmel." Blinzelnd drängte er seine Tränen zurück. Er machte sich nicht die Illusion, sie vor Veronika verbergen zu können, aber sie war so gnädig und sprach ihn nicht darauf an. Geduldig wartete sie, bis er weiterredete. „Du hast mir mal beigebracht, dass wir eigentlich die Vergangenheit sehen, wenn wir in die Sterne schauen. Das Licht von Dingen, die vielleicht längst tot sind."
„Ja."
„Es passt zu uns, findest du nicht? Ich bin in die Wüste gegangen, um vor der Vergangenheit zu fliehen. Vor meinen Taten. Aber sie lässt mich nicht los. Im Gegenteil. Hier draußen in der Stille...es kommt alles hundertfach zurück. Tag und Nacht denke ich daran, was er getan hat. Was ich-"
„Ich belehre dich in dieser Situation ja nur ungern", unterbrach ihn Veronika trocken, „aber deine Sternen-Metapher hinkt. Du bist nicht tot."
„Ich vielleicht nicht. Und du auch nicht. Aber wir. Wir..."
„Das hatte ich befürchtet", murmelte sie wie zu sich selbst. „Damian." Sie seufzte.„Schau mich an." Ihr Tonfall klang, als würde sie mit einem verletzten Tier sprechen.
Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass ich mich schämen sollte. Und glaub mir, ich-"
„Hättest du seinen Befehl verweigert, hätte dein Vater uns nur zu noch Schlimmerem gezwungen. Ich mache dir dafür keinen Vorwurf."
„Solltest du aber!" Damian presste die Lippen zusammen. Noch immer weigerte er sich entschieden, ihr in die Augen zu sehen. „So was tut man nicht, wenn-" Er stockte. Und dann fielen die Tränen doch wieder. Er konnte es nicht aufhalten. Es ging einfach nicht. „Ich war wie ein Sohn für dich. Das hast du mir mal gesagt. Und ich, ich-"
„Nein. Das habe ich nie gesagt." Als er überrascht und erschrocken aufblickte, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. „Nicht war, Damian. Du bist wie ein Sohn für mich. Es wäre nichts wert, wenn es so leicht vergehen würde."
„Leicht?" Jetzt, wo er ihr endlich ins Gesicht schaute und sie ihm so nah war, sah er den blutigen Grind an ihrer Lippe, wo sein Siegelring sie getroffen hatte. „Ich habe dir wehgetan", sein Ton war bitter, „dich entehrt."
Veronika hob eine Braue. „Glaubst du, ob ich nackt bin oder mit dem Königsmantel bekleidet, ändert irgendetwas an meiner Ehre?" Sie musterte ihn, leicht belustigt. „Was? Hast du jetzt weniger Respekt vor mir, weil ich im Unterkleid vor deinem Hof stand?"
Wieder senkte er beschämt den Blick, doch sie schob ihm sachte Daumen und Zeigefinger unters Kinn, zwang ihn, sie anzusehen. „Hör mir zu, Damian. Niemand kann dir deine Ehre nehmen. Niemand, verstehst du? Nur du selbst.
Hättest du dich deinem Vater um meinetwillen wiedersetzt, wäre jetzt nichts gerettet als mein Stolz. Und der ist ohnehin groß genug." Sie schmunzelte. „Es war den Preis nicht wert. Aber als dein Vater von dir verlangte, Julia zu töten, als es um ein Menschenleben ging. Da war es anders. Du hast den Unterschied erkannt und eine weise Entscheidung getroffen." Sie ließ sein Kinn los und fasste stattdessen seinen Kopf in beide Hände. „Ich bin eine Lehrerin. Ehre ist für mich, wenn meine Schüler etwas von mir gelernt haben. Wenn sie gute Entscheidungen treffen. Und deine hat mich geehrt." Als sie seine Miene sah, lächelte sie. Sie ließ die Hände sinken und klopfte ihm unters Kinn, als wollte sie ihn daran erinnern, es hoch zuhalten. „Verzeihe dir. Ich habe es längst. Obwohl-" Sie neigte den Kopf, wie wenn sie etwas abwägte. „-falls du unbedingt Buße tun willst...Du könntest mir ruhig öfter die Füße massieren."
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Die Dornen der Götter
Fantasy„Hexen müssen sterben. So ist es Gesetz in Verlon. Seit dem Tag, als sich ihre Magie gegen uns wandte und Monster schickte. Seit dem Tag, als unser König die Kreaturen bezwang und in den Wald verbannte. Die Monster waren Gottes Strafe für Zauberei...