Damian schlug die Augen auf und fand sich in der Kammer der Namen wieder. Rasch ließ er die Hand des Geistwesens vor ihm los, Wich zurück.
„Ihr!", keuchte er und starrte Lux, oder besser gesagt, Thanatos an. „Ihr wart das! Ihr habt die Wesen aus dem Arbor geschaffen! Ihr habt die Nemesis provoziert."
„Ich", sagte Thanatos leise, „und dein Vater. Mein treuer, hasserfüllter, verletzter Diener."
„Ihr habt Euch als Gott verehren lassen!"
„Ich bin Gott. In dieser Welt."
Damian schüttelte den Kopf und wich noch weiter zurück. „Ihr seid kein Gott! Ihr seid ein Monster!"
„Kein Gott, nein? Warum nicht?" Bedrohlich langsam schritt er auf ihn zu. „Ich bin mächtig. Ich lebe ewig, unabhängig von Zeit und Raum. Und trotzdem verändere ich die Welt mit meinem puren Willen. Ich herrsche über sie. Warum soll ich kein Gott sein?"
„Weil Ihr uns hasst." Veronikas Worte kamen ihm in den Sinn. Seine jahrelange Ausbildung. „Der Gott, den wir verehren, seit Jahrhunderten, hat die Menschen aus Liebe erschaffen. Frei, damit wir ihn in Freiheit zurücklieben können. Denn das ist, was er will. Nicht herrschen. Wer liebt, handelt nicht so wie Ihr. Gott ist Wahrheit. Schönheit. Ihr lügt! Verführt und betrügt, erst meinen Vater, dann ein ganzes Land! Ihr seid kein Schöpfer! Ihr könnt nur zerstören und verderben, was schon da ist, Manipulieren, bis es Euren Willen tut. Und Ihr seid hässlich! So sehr, dass Ihr Eurer Gesicht verbergt. Purer Egoismus, purer Stolz." Damian sah ihn an, zitternd. „Ihr seid das Böse."
„In deiner Geschichte, vielleicht. Nicht in meiner."
Langsam dämmerte es ihm. „Die Stimme in meinem Traum. Das wart nicht Ihr."
„Nein. Sicher nicht."
Damian presste die Lippen zusammen. „Dann arbeitet jemand gegen Euch. Ihr habt Feinde." So etwas wie Hoffnung keimte in ihm auf. Mit Mera und der Hexe unterwegs zur Spina gab es vielleicht tatsächlich noch eine Chance, diesen ganzen Wahnsinn aufzuhalten. Irgendjemand war auf seiner Seite. Jemand, der in Träumen sprechen konnte. War es diese Ananke?
„Die habe ich. Aber es spielt keine Rolle. Da du so großzügig deinem Vater gebeichtet hast, in meiner Anwesenheit, hatte ich Zeit, meine Leute in den Norden zu schicken. Sie werden die Hexe aufhalten und mir bringen, was immer sie sucht. Hast du wirklich geglaubt, eine Blume würde den Regen zurückbringen?"
„Steckt da auch Ihr dahinter? Habt Ihr mein Land verflucht?"
„Nein", schnaubte Thanatos. „Das war nur ein weiterer Beweis für die Dummheit des Menschen. Dein Vater hat auf einer der Inseln hinter den Bergen von Ahumada eine Militärbasis eingerichtet. Dort wartet ein stehendes Heer auf seinen Einsatz, sollte der König es brauchen. Natürlich weiß niemand davon. Nichtmal der Thronfolger. Nur Claudius, Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Um die Soldaten zu versorgen, wollte Charon dort Felder haben. Mitten in einer Wüstengegend. Also hat er mit meiner Magie das Wetter beeinflusst." Thanatos lachte leise. „Dumm nur, dass seitdem alle Wolken gegen die Bergkette stoßen und davor abregnen. Der Rest des Südens geht leer aus. Es ist eben keine leichte Sache, die Natur zu verändern. Aber was war anderes zu erwarten? Ihr Menschen seid so kleine Geister."
Damian spürte den Zorn in sich hochkochen. „Und das gibt Euch das Recht, uns zu benutzen?" Er nickte zu Polonius am Boden. „Unsere Haut und unser Leben überzustreifen und wegzuwerfen wie es Euch passt? Ihr wollt unser Gott sein und verachtet uns!"
Thanatos ignorierte ihn. „Dein Vater hat versprochen, mir etwas zu opfern. Und ich nehme nur das Wertvollste, das ihr Menschen geben könnt. Das, was ausschließlich Gott zusteht. Euer Leben. Dein Vater hat sich geweigert, mir seines zu opfern, selbst als er krank wurde. Aber er hat mir etwas anderes angeboten. Etwas besseres. Also habe ich mich eine zeitlang mit Polonius zufrieden gegeben. Aber er war immer nur ein schwacher Ersatz, bis mein richtiges, versprochenes Opfer bereit war." Ein dünnes Lächeln kräuselte Thanatos Lippen. „Du hast mir die wichtigste Frage noch gar nicht gestellt. Welches Opfer hat dein Vater mir versprochen? Was ist so wertvoll wie das eigene Leben? Wertvoller vielleicht?"
„Nein." Damian stolperte zurück. „Nein..."
„Dein Vater hat mir dich versprochen, Damian. Dich an seiner Stelle. Du bist mein Opfer."
„Nein!" Er wollte sich umdrehen, weglaufen, aber in der Dunkelheit fand er den niedrigen Ausgang zur Kammer nicht. „Ich werde dir niemals dienen! Nie!"
„Wie gut, dass diese Entscheidung nicht mehr deine ist."
Etwas wickelte sich um Damians Füße, hielt ihn an Ort und Stelle. Als er nach unten sah, erblickte er eine dicke schwarze Schlange, die sich langsam um seine Beine wand.
Thanatos trat auf ihn zu. „Es wird nicht wehtun. Und schnell gehen."
Panik hämmerte in Damians Kehle. Mit jedem Atemzug schien sich die Schlange enger um ihn zu wickeln, seinen Bauch, seine Brust. Er konnte sich nicht mehr bewegen, bekam keine Luft.
Tanathos legte die Hand an seinen Kopf und zog langsam die eigene Kapuze zurück. Beugte sich vor, zu Damians Gesicht. Gelbe Augen, mit schlangenartigen Schlitzen starrten ihn an. Die gleichen, wie die der Kreaturen in der Wüste. Seiner Kreaturen.
Er wollte schreien, aber kein Laut kam über seine Lippen. Schwärze, undurchdringlich, breitete sich um ihn. Es war, als schrumpften die Wände der Kammer, schlossen sich eng um ihn, pressten seine Persönlichkeit zusammen. Etwas schien sich über seinen Geist zu stülpen, mit Gewalt in seine Seele zu dringen. Kälte lähmte seine Gedanken. Kurz sah er Meras Gesicht vor sich. Veronika, Thalia, Claudius. Sogar seinen Vater.
Helft mir, dachte er verzweifelt, klammerte sich an den letzten Strohhalm. Helft mir!
Dann war es nicht mehr Damian, der in ihm dachte.

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Die Dornen der Götter
Fantasy„Hexen müssen sterben. So ist es Gesetz in Verlon. Seit dem Tag, als sich ihre Magie gegen uns wandte und Monster schickte. Seit dem Tag, als unser König die Kreaturen bezwang und in den Wald verbannte. Die Monster waren Gottes Strafe für Zauberei...