Kapitel 18.2: Eporem

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Der letzte Tag der Nemesis war im Norden nur einer von vielen Gründen zum Feiern.

Schon auf dem Weg zum Marktplatz hörte ich sie: Fideln und Flöten, vereint zu einer schnellen Tanzmusik. Menschen strömten aus allen Seitengassen in die Mitte der Stadt, ein nie abreißender Fluss aus Gelächter und Gesang. Trotz meines eher bescheidenen Tages ließ ich mich von der guten Laune anstecken. Sie war so ein starker Kontrast zu der düsteren Gedenkfeier in den Katakomben des alten Tempels.

Als ich um die Ecke zum Marktplatz bog, empfing mich eine Szene meiner Kindheit. Entlang der prachtvollen Fachwerkfassaden waren dutzenden Holztafeln und Bänke zum Speisen errichtet worden. Flankiert von Verkaufsständen, die Wein und - wir waren ja wieder im Norden - Bier oder Apfelmost ausschenkten. Dazu über dem Feuer knusprig gebratenes Fleisch, aus dem der Saft lief, wann immer eine Scheibe abgeschnitten wurde. Kartoffeln sämtlicher Variationen, Eintöpfe, in heißem Fett ausgebackene Holunderblüten und - natürlich Gewürzkuchen. Eigentlich waren es gar keine Kuchen, sondern eher Kekse mit Bildern von bösen Augen oder Schlangen, die der Tempelpriester gesegnet hatte, um das Böse abzuhalten. Der Teig wurde in aufwendig verzierte Holzformen gedrückt, so entstanden die Bilder. Meist wurden die Formen dazu über Genationen vererbt. Ich selbst besaß eine meiner Großmutter väterlicherseits von vor der Nemesis. Sie zeigte eine Frau mit langem Haar und Kleid vor einem Sternenhimmel. Heute gab es freilich andere Motive.

Für mich war das Fest eine vertraute Kombination aus verschiedensten köstlichen Düften, vermischt mit dem honiglastigen Geruch der Wildblumen, die sich in Girlanden um Fensterrahmen und Türen wanden. Dazwischen schaukelten Laternen in der warmen Abendbrise.

In der Mitte des Platzes hatte sich eine Tanzfläche auf dem Kopfsteinpflaster gebildet. Dutzende Frauen, Männer und Kinder tanzten in großen Kreisformationen, sprangen und lachten zu wildem Flötenspiel. Ich holte mir einen Apfelmost im Steinkrug und hielt mich am Rand der Feier auf. Der hohe, weiß gedeckte Tisch vor dem Rathaus war noch leer. Es dauerte allerdings nicht lange, bis Fanfaren die dünnen Fensterscheiben der Bürgerhäuser zum Klirren brachten.

„Macht Platz für die Grafenfamilie von Eldra!"

Die Tanzenden stoben auseinander, klatschend und begeistert jubelnd. Eine kleine Prozession aus edel gekleideten Menschen und Soldaten bewegte sich über den Marktplatz. Teure Steine glitzerten im Laternenlicht, ließen Seide und Brokat schimmern. Allen voran lief die Gräfin mit ihrem erwachsenen Sohn. Sie lächelte der Menge zu und als sie auf ihrem hohen Stuhl Platz nahm, wies sie die Musiker mit einer Handbewegung an, fortzufahren. Zu ihren Seiten saßen ihre Ehrengäste. Ich erkannte Kore und Thalia, nebeneinander, mit lockig gebürstetem Haar.

In einem letzten Zug trank ich meinen Krug aus und trat dann auf die hohe Tafel zu. Besser ich zeigte mich gleich der Gräfin, dann konnte ich umso eher verschwinden.

Sie sah mich schon, als ich auf sie zukam. Ich knickste.

„Mera." Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Wo ist dein Vater?"

„Er wird nachkommen, Gräfin."

„Schön. Ich fürchtete schon, er drückt sich wieder vor zu vielen Menschen. Setz dich doch und iss mit deinen Gefährten. Leider sind deine Begleiter sehr still, was den Grund Eurer Mission betrifft."

„Der Prinz hat uns befohlen, darüber zu schweigen." Eigentlich ist er jetzt König, ergänzte ich in Gedanken, aber besser ich korrigierte mich nicht. Keiner außer mir wusste im Norden schon, das König Charon tot war. Die Wahrheit würde nur unangenehme Fragen nach sich ziehen.

„Das weiß ich doch", sagte die Gräfin lachend, „und ich werde Euch nicht bedrängen, keine Angst. Der Prinz hat sicher seine Gründe. Mit Claudius an seiner Seite, bin ich ohnehin beruhigt. Er war einer meiner besten Männer. Dass wir ihn an den Süden verloren haben, kann ich ihm bis heute nicht ganz verzeihen. Hoffentlich weiß Prinz Damian ihn zu schätzen."

Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt