Kapitel 8.1: Zum Letzten Baum

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Mera

„Er hat was über mein Essen gesagt?" Im Laufen drehte sich Thalia zu mir um. „Das ist doch nicht sein Ernst!" Ich unterdrückte ein Kirchern, während Thalia uns beim Rückwärtsgehen finstere Blicke zuwarf. „Meine Suppe hat man doch essen können! Oder?"

Die Soldaten senkten die Köpfe und täuschten gedankliche Abwesenheit vor. Selbst die Hexe war so klug und enthielt sich eines Kommentars.

Thalia knurrte. „Warte, bis ich wieder in Thisbe bin. Beim nächsten Zweikampftraining kann der was erleben. Möchte wissen, ob er immer noch so frech ist, wenn ich seinen royalen Hintern in den Staub trete!"

Verstohlen tauschte ich einen Blick mit der Hexe. Kurz konnte ich schwören, sie schmunzelte, aber als Thalia sich wieder zu uns umwandte, war ihre Miene ausdruckslos wie immer.

Mittlerweile hatten wir den Saum des Gebirges erreicht, das Sarsonne vom Arbor und damit auch Norden und Süden trennte. Wenn man es denn Gebirge nennen konnte. Im Grunde waren die Nadeln nichts als eine Reihe scharf gezackter Felsspitzen, die wie Finger in den blauen Himmel ragten. Viel zu steil, um ihre Gipfel zu besteigen. Glücklicherweise hatten die Reisenden über die Jahre einen Weg in die Senke zwischen zwei Spitzen getreten. Diese Engstelle -von der Waldwacht sehr treffend Nadelöhr genannt-, durchquerten jetzt alle, die von Nord nach Süd unterwegs waren, was oft zu Verzögerungen führte. Aber ich wäre keine Waldweise, wenn ich nicht die kleineren geheimen Pfade drum herum kannte.

Am Morgen passierten wir die südlichen Ausläufer der Nadeln. Sanfte Hügel, auf denen Wein angebaut wurde und wo sich junge Reben kilometerlang an Schnüren empor hangelten. Als der Weg anzusteigen begann, kramte ich meinen Wanderstab aus dem Rucksack und schraubte ihn zusammen. Wir kamen jetzt langsamer voran, weil es bergauf ging und wir wegen losen Gerölls genauer auf unsere Schritte achten mussten. Diesseits der Nadeln brannte die Sonne des Südens immer noch unbarmherzig und am Felsen über den Weinbergen waren wir der Hitze schutzlos ausgeliefert. Ich warf einen Blick über die Schulter zur Hexe. Sie stützte sich schwer auf ihren Stab, den ich ihr am Morgen aus einem Haselnussstrauch vom Wegrand gemacht hatte.

„Ihr sagt, wenn Ihr eine Pause braucht?"

Sie nickte nur. Offensichtlich war ihr gerade nicht nach sprechen. Mittlerweile trug sie einen Teil ihres Gepäcks wieder selbst, sehr zur Freude unserer Männer. Ich wusste nicht, ob es an meiner Predigt lag, oder ob sie die Hexe inzwischen als echten Teil der Gruppe betrachteten. Auf jeden Fall bemühten sie sich offensichtlich, ihre unfreundliche Art vom Beginn der Reise wiedergutzumachen. Gestern Abend, als sie am Feuer Maronen rösteten, hatte Cosmas sogar ihre Kastanien geschält und wenn sie Wasser holten, ging Marcus für sie zum Brunnen, damit sie sich eine Weile ausruhen konnte. Immerhin, ein Fortschritt.

Als die letzten Strahlen der Sonne den Berg erhellten, erreichten wir endlich ein schützendes Kiefernwäldchen zwischen zwei der Nadelspitzen. Es war fast der höchste Punkt der Strecke. Vor uns führte der Pfad auf einem schalen Grat geradeaus  und dann auf der Nordseite serpentinenartig hinab ins Tal. 

Eigentlich hatte ich vermeiden wollen, in den Bergen zu übernachten. Zumindest nicht so weit oben. Aber unsere Gruppe war heute langsamer vorangekommen als erwartet und inzwischen war es zu dunkel, um weiterzugehen. Versteckt zwischen Felsen und duftenden Kiefern errichteten wir unser Nachtlager. In der Ferne türmten sich am Horizont Wolkenberge auf. Als die Nacht hereinbrach sahen wir immer wieder Blitze, die sie zuckend erhellten, aber es folgte nie ein Donner. Nur Wetterleuchten. Gut so, ein Gewitter in den Bergen fehlte mir gerade noch.

Es wurde eine unruhige Nacht, aufgewühlt von fernem Donnergrollen und dem Wind, der um die Felsen pfiff. Bei Tagesanbruch erwachte ich wie immer als erste. Trotz der geschützten Stelle hinter einem Felsbrocken war mir kalt. In den Bergen wehte zu jeder Jahreszeit ein frischer Wind und nach Sarsonne war ich kühlere Temperaturen nicht mehr so gewohnt. Fröstelnd schürte ich das Feuer und setzte im Halbdunkel Wasser aus einer nahen Quelle auf. Die Sonne schob sich gerade erst über den Rand der Welt, eine feine goldene Linie, kaum hell genug, um mir Licht für meine Arbeit zu spenden. Ich rührte Haferschleim, mein bewährtes Frühstück auf Wanderschaft. Zwei Portionen, für die Hexe und mich. Zum Schluss gab ich Mandeln und getrocknete Feigen darauf. Die Beilagen waren das einzige an meinem Rezept, das nach Region variierte, denn im Norden bekam ich eher Walüsse, Haselnüsse, Brennesselsamen und getrocknete Beeren. Manchmal sogar frische Äpfel. Mit einer Prise Zimt schmeckte es dann fast wie eine Süßspeise. Aber eine, die genug Energie für einen anstrengenden Tag lieferte.

Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt