Kapitel 4.2: Das Schwiegermutterglas

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Der Herold stieß seinen Stab auf den Boden. „Prinz Damian von Verlon!"

Damian hielt den Kopf gesenkt, als sich die Flügeltüren öffneten. Nur der Wechsel vom weißen Travertinstein der Gänge zu perlblassem Marmor zeigte ihm, dass er den Thronsaal betreten hatte. Sein Herz pochte ihm mittlerweile in der Kehle. Am liebsten wäre er umgedreht und weggerannt, aber er zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Schritt um Schritt, bis er die Stelle vor den Stufen des Throns erreicht hatte, wo sich weißer und roter Marmor zu einer feuerfarbenen Schlange vereinigten. Leidenschaftlicher Hass verbanden Damian und die steinerne Schlange. Wie oft hatte er hier gekniet, leidend, blutend, während ihn ihre gelben Augen verhöhnt hatten? Er konnte es schon gar nicht mehr zählen. Eines Tages, wenn er König war, so schwor er sich seit Jahren, würde er das Muster eigenhändig aus dem Stein zerschlagen. 

Damian verneigte sich tief. „Eure Majestät." Erst dann wagte er, den Kopf zu heben. Mondlicht fiel durch die riesigen verglasten Bogenfenster, spiegelte sich im blank polierten Marmor und verlor sich im Fackelschein. Auf der erhöhten Plattform saß sein Vater, graue Haare, grauer Bart und breite Schultern. Charon von Verlon brauchte keine Krone, um Autorität auszustrahlen. Er war umgeben von seiner Leibgarde und Polonius, einem Minister seines Triumvirats. Zu Füßen der Thronstufen stand eine Frau in weißer Tunika und Palla. Sie sah ihn nicht an, aber Damian hätte sie überall erkannt.

Es war Veronika.

Kurz glaubte er, sein Herz hätte vergessen, in welchem Takt es schlagen sollte. Also stimmte es. Sein Vater wusste von der Expedition Bescheid. In seinen Handflächen bildete sich Schweiß. Rasch wischte er sie an seiner Hose aber, aber das klamme Gefühl in seiner Brust blieb. 

„Sohn."

Die Anrede war nicht ungewöhnlich. Sein Vater nannte ihn nie beim Namen. Vielleicht, weil er für ihn ohnehin nicht mehr war, als eine Spielfigur auf dem Schachbrett der Macht. Kein Individuum, sondern ein Pappaufsteller, der seine zugewiesene Rolle am Hof erfüllte. So genau wusste Damian es nicht. Sein Vater war psychologisch schon immer schwer zu durchleuchten gewesen. Selbst für ihn, der als Kind dieses Hofs mit den Jahren ein ganz gutes Gespür für die heimlichen Schwächen und Ambitionen seiner Mitmenschen entwickelt hatte.

„Meine Soldaten haben mir von deinen neuesten Eskapaden berichtet." Die Stimme seines Vaters war bedrohlich ruhig. „Was hast du dazu zu sagen?" Damian senkte den Kopf. Gerne hätte er die Augen zugekniffen. Als er weiterhin schwieg, sprach sein Vater für ihn. „Du hast die  Steinigung einer Hexe aufgehalten? Hast dich für ihr Leben eingesetzt? Direkt vor dem Tempel, an unserem höchsten Feiertag?"

Damian riss den Kopf nach oben. Moment mal... „Was?"

„Und nicht nur", fuhr sein Vater fort. „Du hast den Mann, der sie gefunden hat, ins Gefängnis geworfen?"

Also das war es. Nicht die Expedition in den Arbor oder sein Traum. Eine Welle von Erleichterung strömte durch seine Brust. Fast hätte er gegrinst. Das verging ihm allerdings recht schnell, als er die Miene seines Vaters sah. 

Charon von Verlon war eigentlich kein Sadist. Und, auch wenn er furchteinflößend wirken konnte, nicht mal übermäßig tyrannisch. Zumindest nicht zu seinem Sohn. Er schikanierte ihn nicht, hielt ihm nicht ständig sein Versagen vor oder versuchte, ihm seine eigenen Träume aufzuzwingen, wie es andere Väter taten. Um die Wahrheit zu sagen; manchmal wünschte Damian fast, er täte es. Ihre Beziehung beruhte vor allem auf Förmlichkeiten. Damian spielte seine Rolle als Kronprinz bei offiziellen Anlässen, aber ansonsten wurde erwartet, dass man möglichst wenig von ihm sah und hörte. Der König ließ ihn tun, was er wollte. Es mangelte ihm nie an Geld, Freizeit oder Dingen, mit denen er sich unterhalten konnte. Aber eines war Charon für ihn nicht: Ein Vater.

Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt