Kapitel 16.3: Katakomben

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Thalias Antwort bekam ich nicht mehr mit.

Etwas huschte in der Dunkelheit an meinem Knöchel vorbei, etwas Kleines, Felliges, und ich zuckte reflexartig zurück. Einen Schrei konnte ich gerade noch unterdrücken, aber irgendein Geräusch musste ich gemacht haben, denn die Hexen verstummten augenblicklich.

Dann hörte ich eine Stimme. „Habt ihr - was war das?"

Verdammt.

Blind wich ich in die Dunkelheit zurück. Ich musste hier weg. Nicht auszudenken, was mir blühte, wenn mich diese Frauen beim Lauschen erwischten. Der Untergrund des Tempels bot hunderte Gelegenheiten, jemanden verschwinden zu lassen. Und gerade für Hexen war es sicher wichtig, keine Zeugen zu hinterlassen.

Gott, wo war ich da wieder hineingeraten.

Ohne noch einen Blick auf Thalia oder die Hexen zu werfen, stolperte ich durch den Gang. Verfiel ins Rennen. Selbst mein Atem klang verräterisch laut. Ohne Thalias Licht verschluckte mich die Finsternis in einem Happen. Bald schon sah ich nichts mehr, hörte nichts mehr, tastete mich mit den Händen an den feuchten Wänden entlang. Wo war ich? Wo war die Treppe nach oben? Nach und nach verlor ich die Orientierung. Da war nur Schwärze, von allen Seiten. Befand ich mich überhaupt noch im Hauptgang oder war ich längst irgendwo falsch abgebogen? Wo war oben und unten, rechts und links?

Langsam aber sicher wurde ich panisch. Dann, als ich schon ernsthaft erwog, umzukehren, legte sich von hinten eine Hand auf meinen Mund.

„Still!", zischte eine Frauenstimme in mein Ohr. „Nicht schreien! Sie können dich immer noch hören." Etwas stach mich in den Rücken, schubste mich vorwärts. „Weiter." Ihre Hand schloss sich fest um meine Schulter.

Ich war zu geschockt, um mich zu wehren. Widerstandslos ließ ich mich vor ihr her durch die Dunkelheit treiben. Im Gegensatz zu mir schien sich die Frau auch im Dunklen zurechtzufinden. Oder sie hatte einfach einen besseren Orientierungssinn. Auf jedenfall führte sie mich in Rekordgeschwindigkeit durch das unterirdische Labyrinth und die Stufen des Tempels hinauf. Ich wagte nicht, mich umzudrehen und sie sagte kein Wort mehr, bis sie mich schließlich ein paar Straßen vom Tempel entfernt in einer schmalen Seitengasse gegen eine Hauswand drückte. Erst da sah ich ihr Gesicht.

Es war Thalia.

„Was fällt dir ein!" Mit ihrem Unterarm presste sie meine Schulterblätter an die Wand. Mir blieb fast der Atem weg. Noch nie hatte ich sie so zornig gesehen.„Spionierst du mir nach?"

Ich öffnete den Mund, aber es gab nicht wirklich etwas, das ich zu meiner Verteidigung sagen konnte. Sie hatte ja Recht. „Du hast ausgesehen, als würdest du etwas suchen", begann ich, „Da dachte ich-"

„Es ist mir egal!", fauchte sie. „Hast du überhaupt einen Schimmer, was hätte passieren können? Das sind Hexen, da unten! Die machen dich fertig, wenn sie erfahren, dass sie beobachtet wurden. Du wärst nicht die Erste."

Eine Gänsehaut kroch über meine Unterarme. „Worauf wartest du dann?", fragte ich leise. „Du hättest mich da unten einfach umlegen können."

Thalias starrte mich an, die Stirn gerunzelt. Dann weiteten sich ihre Augen, als würde sie etwas begreifen. „Du denkst, ich bin eine von ihnen? Eine Hexe?"

Diesmal war ich es, die sie ungläubig anstarrte. „Das war ziemlich offensichtlich."

Thalia ließ mich los, sodass ich an der Mauer nach unten sackte. Kopfschüttelnd wich sie einen halben Meter zurück und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Gut. Gut, gut, gut. Mera. Hör mir zu. Ich darf dir das eigentlich nicht sagen und ich fasse es nicht, dass ich es trotzdem tue, aber-" Sie atmete laut aus. „Es ist wohl besser als die Alternative." Thalia sah mir in die Augen. „Hast du dich nie gewundert, warum Prinz Damian die Anführerin seiner Leibwache auf diese Mission schickt? Mein Platz wäre in Thisbe, an seiner Seite."

Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt