Kapitel 11.1: Vor den Mauern

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Damian

Schwarzes Wasser schlug über Damians Kopf zusammen.

Es rauschte und gluckerte in seinen Ohren, während er in die Tiefe stieß, Meter um Meter. Kurz bekam er Panik, als er das Gewicht von Goldbeutel und Schwert an seinem Gürtel ziehen spürte. Er ließ Veronikas Hand los, atmete einen Schwall Luftblasen aus und kämpfte sich strampelnd zurück nach oben. Zeitgleich mit ihr durchbrach seine Stirn die Wasseroberfläche. Veronika rang keuchend nach Luft. Ein paar Meter vor ihm schwamm das Mädchen.

Zum Glück musste er sich bei den zweien wenigstens keine Sorgen ums Ertrinken machen. Fast jeder, der in Thisbe am Meer aufgewachsen war, konnte ausgezeichnet schwimmen.

„Zu mir!", zischte er den Frauen zu, prustend, weil in genau dem Moment eine Welle über sein Kinn schwappte. „Ihr müsst in meiner Nähe bleiben." Es war ihre Lebensversicherung. Bei Dunkelheit und mit dem Seegang konnten Bogenschützen zwar ohnehin nicht richtig zielen, aber wenn sie es doch versuchten, dann würden sie wenigstens nicht auf ihn schießen. Immerhin war er der Thronfolger, der einzige Erbe. Sein Vater konnte ihn nicht umbringen. Zumindest hoffte er das mal.

Damian sah hinauf zu den erleuchteten Fenstern des Ballsaals. Dutzende schwarze Schatten huschten wie Ameisen hin und her, aber noch war ihnen keiner gefolgt. Sie warteten auf die Befehle des Königs. Nicht mehr lange und sie würden ausschwärmen, die Zugänge zum Palast und den königlichen Stallungen versperren. Er musste dahin gehen, wo sie ihn am wenigsten vermuteten. Wenigstens hatte er Heimvorteil. Kein Soldat kannte sich in diesem Schloss aus wie er, der hier Kind gewesen war.

„Folgt mir!" Damian schwamm weiter aufs Meer hinaus, weg von den Felsen und der Brandung, die ihn zurück ans Ufer drängen wollte. Etwa einen halben Kilometer vor ihm waren die Klippen weniger steil. Eine beleuchtete Steintreppe führte von den Gärten hinab. Wenn sie es schafften, ungesehen da durch zu kommen, würden sie die Postställe am äußersten Ende des Geländes erreichen. Dort standen zu jeder Tag- und Nachtzeit gesattelte Pferde bereit, falls eilige Botschaften versendet werden mussten. Es war ihre einzige Chance.

Damian schwamm, bis ihm die Arme brannten. Auf halber Strecke schälte er sich aus seiner vollgesogen Jacke und ließ sie davontreiben. Das Wasser war kalt, aber erfrieren würde sie in den warmen Nächten des Südens nicht. Trotzdem zehrte jeder Meter an seinen Energiereserven. Immer wieder warf er einen Blick über die Schulter, ob die Frauen ihm folgten und musste sein Tempo zügeln. Veronika und das Mädchen kämpften eisern gegen die mächtigen Strömungen.

„Nicht mehr lange jetzt, wir haben es gleich geschafft!", rief er ihnen zu.

Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchte die lampenbeschienene Treppe vor ihm auf. Mit zusammengebissenen Zähnen schwamm er darauf zu und stemmte sich auf die trockenen Stufen. Sie waren noch warm von der gerade untergegangenen Sonne. Seine nassen Handflächen hinterließen dunkle Abdrücke auf dem Stein, gleich wieder ausgelöscht, von einem Schwall Meerwasser, das aus seinen Stiefeln schwappte, als er sich aufrichtete. Sofort drehte er sich um und zog Veronika auf die erste Treppenstufe. Schwer atmend brach sie darauf zusammen und wollte liegenbleiben, aber er stellte sie mit aller Kraft, die er noch hatte, auf die Beine. Sie tropfte und zitterte am ganzen Körper. Ihre Lippen waren blau vor Kälte.

„Wir müssen weiter", flüsterte er. „Ich habe dich, ja?"

Er legte einen Am um sie, während sie die Stufen hinauf und durch die dunklen Gärten hasteten, das Mädchen dicht auf ihren Fersen. Sie hielten sich im Schatten von Zypressen und Akazien, duckten sich durch niedrige Orangenhaine, bis sie endlich den Kiesweg zu den Stallungen erreichten.

„Könnt Ihr reiten?", fragte Damian das Mädchen, während er die Tür zum Stall aufschob.

Sie nickte hastig. „Meine Herrin hatte einen Hof."

Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt