Kapitel 15.1: Im steinernen Meer

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Damian

Strenggenommen war das Felsenmeer nur der Ort, wo die Wüste Segva zur Halbwüste wurde.

In Damians Rücken lag Ahumada, die ummauerte Stadt, erbaut aus ockerfarbenem Kalkstein wie die Felsen um sie herum. Eine Festung inmitten von nichts. Hinter der Stadt endete die Wüste und es begannen erste karge Felder zur Schafhaltung mit Olivenhainen.

Vor ihm aber erstreckte sich eine von Kalksteinfelsen übersäte Landschaft. Damian kam es fast so vor, als befänden sie sich auf einem anderen Planeten. Die Felsen waren bizarr geformt und an vielen Stellen durch Sandstürmte und Zeit glattgeschliffen, was ihn an die abgenutzten Zähne alter Menschen denken ließ. Noch stieg kein Rauch oder Dampf aus ihnen hervor. Trotzdem, selbst in der Karawane hatte es Gerüchte über Geister und seltsame Umtriebe im Felsenmeer gegeben.

„Bleib hier, in Sichtweite der Stadt." Damian gürtete sein Schwert, zum ersten Mal seit Wochen, und befestigte zusätzliche Wasserschläuche daneben. „In ein paar Stunden bin ich zurück."

Veronika widersprach nicht. Sie beide wussten, dass sie ihm als Gelehrte da drinnen keine Hilfe war, sollte es zu einer gefährlichen Situation kommen.

Ihre Augen waren gegen das helle Sonnenlicht zusammengekniffen. „Mein Gefühl sagt, du solltest da nicht reingehen", murmelte sie.

Damian schnaubte. „Ich habe keine Angst vor Geistern. Du?"

Sie schwieg, für Damians Geschmack einen beunruhigenden Moment zu lange. „Es gibt Geheimnisse zwischen Himmel und Erde, die auf ewig außerhalb unseres Verstands liegen."

„Ist das nicht schrecklich für dich?" Er hob eine Braue. „Als Wissenschaftlerin, meine ich. Zu wissen, dass es immer Dinge geben wird, die du nicht erklären kannst? Dass du der Wahrheit nur in Bruchstücken näher kommst?"

„Doch." Da war es wieder, das schelmische Blitzen in ihren Augen. „Aber die Alternative wäre, dass der größte Verstand im ganzen Universum meiner ist. Und diese Vorstellung ist um ein vielfaches schrecklicher."

Damian gluckste nur.

Veronika umarmte ihn, kurz und fest. „Pass auf dich auf. Und denke daran: nur beobachten, nichts riskieren."

Er nickte. Dann schulterte er seinen Rucksack und machte sich auf den Weg ins Felsenmeer.

Was die Hitze betraf, so war es hier kaum anders als in der Wüste. Das gleiche galt für die Einsamkeit. Trotzdem hatte er im steinernen Meer ein anderes, mulmigeres Gefühl. Durch die fehlende Weite gab es viel mehr Orte, von denen aus man heimlich beobachtet werden konnte.

Er benötigte einen Kompass und die Karte, die er von einer der Karawanenfamilien gekauft hatte, um irgendwie die Orientierung zu behalten. Manchmal erzeugten die Felsformationen die Illusion sich bewegender Schatten. Wirkten bizarr geformt wie versteinerte Riesen oder Kreaturen aus alter Zeit. Wenn der Wind durch Risse und Löcher im geschliffenen Kalkstein pfiff, drangen geisterhafte Laute an seine Ohren. Wie das Heulen gequälter Seelen. Es war nicht schwer, sich hier Gespenstergeschichten auszudenken und kurz war Damian versucht, den Bericht des Schäfers als genau das anzutun: Eine Geschichte.

Dann aber sah er es.

Rauch. Oder Dampf, da war er sich nicht sicher. Wie eine weiße Säule stieg er aus einer Spalte im Fels etwa fünfzig Meter vor ihm. Erst als er sich näherte, erkannte er die massigen Ausmaße des Steinbrockens, fast schon ein größeres Haus. Auch aus kleineren Ritzen im Gestein drangen Dampffetzen. Etwas bahnte sich mit Druck und Gewalt den Weg nach draußen. Als der Wind in seine Richtung drehte, trug er einen schwachen Geruch von Schwefel zu ihm heran. Vielleicht war die Gegend tatsächlich ein vulkanisches Gebiet. Aber wo waren die Spuren vergangener Ausbrüche? Es müsste doch erkaltete Lava geben. Und fand man in solchen Gegenden wirklich Kalkstein? Zum ersten Mal bereute er, Veronika nicht dabei zu haben. Geologie war nicht ihr Fachgebiet, aber sie hätte zumindest mehr Ahnung als er gehabt.

Damian runzelte die Stirn. Da war etwas im Sand vor ihm. Er ging in die Knie und betrachtete das Muster mit zusammengekniffenen Augen.

Spuren.

Deswegen war es ihm sofort aufgefallen. Halb verwischt vom immer wehenden Wüstenwind führten sie auf den großen Felsblock zu. Er ging ihnen langsam nach, hinterließ eigene Abdrücke direkt daneben. Die fremden Füße waren deutlich kleiner als seine. Eine Frau?

Was machte sie allein, ohne Begleitung, im Felsenmeer von Ahumada? Es gab keine Spuren von Tieren. Also war eine Hirtin auf der Suche nach ihren verlorenen Schafen die eher unwahrscheinliche Variante. Seine Neugier war definitiv geweckt. Genau wie seine Angst.

Er folgte den Fußabdrücken zu einem Felsspalt, breit genug für einen Menschen. Die Spuren verloren sich im Inneren. Damian legte die Hand an den Schwertgriff, bevor er sich seitlich durch die Öffnung schob. Sand rieselte auf sein Hemd und in seinen Nacken, als er an der Wand entlangschrammte. Drinnen war es zu seiner großen Überraschung noch heißer als draußen. Hätte er Brillengläser getragen, wären sie sofort beschlagen. Dampf stieg aus hunderten Ritzen vom Boden auf, ließ die Luft unerträglich schwül und feucht werden. Er kam sich eher vor wie in einem Dschungel als in eine Wüste. Der Schwefelgestank war so stark, dass er sich das lose Ende seines Kopftuchs über die Nase ziehen musste, um nicht wieder rückwärts ins Freie zu flüchten.

Geh nicht weiter, mahnte ihn eine innere Stimme. Er ignorierte sie.

Als sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, tastete er sich vorsichtig weiter vor. Er schien in einer Art Höhle zu sein. Tiefer und tiefer führte der natürliche Gang ins Innere des Felsens. Mit jedem Meter wurde es heißer. Drückender. Sein Herz pochte angestrengt, als hätte es Mühe, seinen Kreislauf unter diesen Bedingungen am Laufen zu halten. Er schwitzte. Sogar die Kalksteinwände waren von einer dünnen Schicht Feuchtigkeit benetzt, wie kondensierter Nebel. Nach einiger Zeit begannen plötzlich schwarze Adern den Kalk zu durchziehen. Zuerst dachte Damian, es sei einfach eine andere Sorte Gestein, bis er näher trat.

Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Matte schwarze Kugeln, glühend, mit Lava durchsetzt, steckten in den Wänden, sorgsam aufgefädelt wie auf einer Perlenschnur. Es waren die gleichen wie das Exemplar des Schäfers. Das Exemplar, das aus seinem Zimmer verschwunden war.

Im selben Moment hörte er ein Fauchen hinter der nächsten Wegbiegung.

Damian zog sein Schwert.

Der Griff glänzte schon schweißnass und sein Herz klopfte ihm in den Ohren, als er weiterschlich. Dem Geräusch entgegen. Mittlerweile war die Luftfeuchtigkeit so hoch, dass seine Klinge beschlug und sein Spiegelbild gespenstisch verzerrte. Er wappnete sich für das Schlimmste. Doch was ihn hinter der Kurve in der Höhle erwartete, verschlug ihm stärker den Atem, als es der Schwefel getan hatte.

Es war kein Monster.

Und es war auch kein Geist. 

Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt