Kapitel 21.1: Der Herr der Welt

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Damian 

„Polonius?", fragte Damian in die Stille.

Im gleichen Augenblick wehte ein kräftiger Windstoß die Fackel in seinen Händen aus. Für einen Moment war er in völlige Finsternis gehüllt. Dann entzündete sich eine Reihe von roten Fackeln entlang der Wände, erhellte die fensterlose Kammer.

Keine Frage. Da lag ein Mann auf den Steinen. Und es war niemand anderes als Polonius, Herr des Triumvirats. Was zur Hölle machte er hier? War ihm nicht klar, dass seine bloße Anwesenheit das Heiligtum schändete?

Damian beugte sich über den Ratsherrn, drehte ihn um. Trübe, leere Augen starrten ihm entgegen.

Er wich erschrocken zurück. Polonius' Mund war leicht geöffnet. Der Rest seines Körper schien schlaff, kleiner, geschrumpft, wie zusammengesunken. Und er war tot.

Damians Herz beschleunigte sich, als wenn es ihm im Angesicht des Todes nochmal umso deutlicher sagen musste, dass er am Leben war. Er wollte wegsehen, wegrennen, aber seine Augen waren wie auf den Toten geheftet.

Irgendwas stimmte nicht. Polonius Haut war zu fahl, zu eingefallen für jemanden, den er vor ein paar Stunden noch kerngesund gesehen hatte. Er wirkte ausgezehrt. Ausgesaugt, wie eine weggeworfene Hülle. Als hätte er schon lange vor seinen Tod aufgehört zu leben. Aber das machte keinen Sinn. Das alles machte keinen Sinn-

Ein Schatten ragte über ihm auf.

„Hallo?" Damians zitternde Stimme hallte von den Wänden wider. Ganz langsam erhob er sich. Da war noch jemand, verbogen in der Dunkelheit zwischen den Flammen. „Zeige dich! Ich fürchte mich nicht."

„Lüge", sagte eine körperlose Stimme aus dem Finstern, samtig und gleichzeitig eiskalt. „Versuche das nicht nochmal. Ich bin der Meister der Lügen. Und ich erkenne sie sofort. Ehrfurcht wäre angebracht, wenn man mit seinem Gott spricht. Majestät."

Und er trat aus den Schatten.

Er sah genauso aus wie seine Statue im Tempel. Groß und schlank, in einen bodenlangen schwarzen Umhang gehüllt. Sein Gesicht war durch eine Kapuze verborge, nur ein Mund war zu sehen und seine weißen, spinnendünnen Hände. Eine Aura aus Finsternis umgab ihn. Er strahlte sie aus, wie ein gestaltgewordenes Stück Dunkelheit. Das war kein Mensch, so viel stand fest.

Es war Lux.

Damian wusste nicht, was er sagen sollte. Ein nicht kleiner Teil von ihm hatte ernsthaft daran gezweifelt, hier jemanden zu treffen. Geschweige denn einen Gott. Aber da stand er nun vor ihm, genau wie beschrieben. Sein Vater hatte Recht gehabt. Immer Recht gehabt.

Er sank auf die Knie, neigte den Kopf. „Herr. Mir fehlen die Worte. Ich-"

Von Lux kam ein leises Lachen. „Charon hat dich gut erzogen. Erhebe dich, Sohn."

Mit zitternden Knien richtete sich Damian auf. Sein Blick streifte die Leiche von Polonius. „Was ist mit ihm passiert?" Hatte er sich in die Kammer der Namen gestohlen und Lux hatte ihn für diese Verfehlung niedergestreckt?

„Das soll dich nicht kümmern", sagte der Gott. „Polonius war es bestimmt, mit deinem Vater zu sterben. Er hat seine Rolle gespielt. Wie du deine spielen wirst. Nicht wahr?" Sein letzter Satz hatte etwas Testendes, fast Lauerndes.

„Ich werde alles tun, um meinem Land gut zu dienen", erwiderte Damian vorsichtig. Wie sprach man mit einem Gott? Machte er es richtig? Warum hatte sein Vater ihm das nie erklärt? Lux' Stimme klang so an anders, als die in seinem Traum.

„Nicht deinem Land", sagte der Gott kühl. „Mir. Allem voran, mir."

„Ja." Damians Kehle war trocken. „Natürlich, Herr."

Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt