Kapitel 10.1: Eine erwachsene Entscheidung

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Damian

„War das Mera?"

Damian blickte auf, über den Rand des Spiegels hin zur Tür. Veronika stand im Rahmen und schmunzelte.

Er legte die Stirn in Falten. „Sieht man mir das an, ja?"

„Dein Gesicht. Du strahlst, als hätte jemand deine Geburtstagsfeier abgesagt." Sie musterte ihn. „Du magst sie."

„Denkst du? Vielleicht bin ich auch einfach so gut gelaunt. Man wird nur einmal volljährig." Er schob den Spiegel unter sein Kissen und stand auf. Dann gürtete er sein Schwert, das letzte Detail seiner Gala-Uniform. „Also gehen wir?"

„Ich bin fertig." Veronika war ihrer Stellung nach in die Festtagsrobe des Weißen Kollegiums gekleidet, weiße Tunika und Palla. Ein Silberstreifen zierte die Ränder ihres Gewands, passend zu ihren Haaren. Über ihrer hochgesteckten Frisur trug sie einen zarten weißen Schleier, der bis zum Boden fiel und Schmuck, den Damian ihr zum Geburtstag geschenkt hatte: Ein filigraner Rosmarinzweig aus Silber, besetzt mit kleinen Blüten von lavendelfarbenem Edelstein als Haarkamm. Dazu eine Halskette und Ohrringe aus dem gleichen Material. Damian hatte das Set persönlich für sie anfertigen lassen. Rosmarin war die Pflanze der Weisheit und der Stein passte fast Ton in Ton zu ihren Augen.

Veronika hob eine Braue. „Seit wann hast du es so eilig, auf einen Ball zu kommen? Du hasst es zu tanzen."

„Vielleicht hatte ich ja auch bis jetzt nur die falschen Partnerinnen."

„Oh mein-" Veronika hielt sich die Hand vor den Mund. „Du magst sie wirklich."

Damian spürte, wie ihm die Röte in die Wangen kroch. „Was soll das denn jetzt heißen?", murmelte er.

„Nichts." Sie lachte und wandte sich ab. „Gar nichts."

„He!"

Er hörte ihr Lachen noch, als sie schon längst im Gang verwunden war.

***

Der Ballsaal im Palast von Thisbe war eine architektonische Meisterleistung. Direkt in den Fels zur See hin gebaut, lag er tiefer als der Rest des Schlosses. Eine lange Reihe unverglaster Bogenfenster gab den Blick zum Meer frei und sorgte für eine ständige kühle Brise. Das ermöglichte, selbst im heißen Sommer des Südens zu tanzen, ohne dass einem der Schweiß innerhalb weniger Minuten die Galauniform tränkte. Hinter den Bogenfenstern lag eine riesige weiße Marmorterrasse, fast auf Höhe des Meeresspiegels, sodass man gelegentlich die Gischt der Wellen über das Geländer spritzen sah. Dutzende Paare flanierten dort draußen und betrachteten den Sonnenuntergang, der das Meer golden färbte.

Gold sah man allerdings auch im Saal zu Genüge. Es wirkte fast, als hätten die Gäste allen Schmuck, den sie besaßen auf einmal am Körper, so wie überall um ihn herum die Edelsteine blitzten. Während des Monats der Nemesis waren solche Feinheiten eigentlich verpönt, da bildete der Ball des Prinzen für viele eine willkommene Ausnahme.

Damian selbst hatte die letzte Stunde damit verbracht, von Gast zu Gast zu gehen und jedes Mal eine Goldmünze aus dem Beutel an seinem Gürtel zu verteilen, wenn ihm jemand einen frohen Geburtstag wünschte, wie es Brauch war. Schon jetzt reichte es ihm an menschlichen Kontakten für den Abend. Am liebsten hätte er sich mit einem guten Buch zurückgezogen und seinen Geburtstag auf diese Weise verbracht. Allein. Ungestört von neugierigen Blicken.

König Charon saß auf seinem erhöhten Marmorthron und unterhielt sich mit Polonius aus dem Triumvirat. Heute war offensichtlich ein guter Tag, ohne blutigen Husten oder ähnliches. Tatsächlich hatte er seinen Vater selten mit besserer Laune gesehen.

Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt