Damian
Es verblüffte Damian immer wieder, wie sehr Gerüche Erinnerungen speicherten. Kaum hatte er den Palast betreten, stürzen sie auf ihn ein: Pfirsich und Feige, Kräuter und Meersalz in den Gärten. Warmes Leder, frische Olivenölpolitur auf den Holzboxen der Pferdeställe. Seifenwasser, mit Aloe vermischt, zum Händewaschen an den Eingängen. Parfümierte Seide und hin und wieder frisches Leinen, wenn er an einem Vorhang vorbeilief. Es war, als wäre er nie weggewesen. Nur seine gebräunte Haut und seine definierteren Muskeln zeugten von der Reise, die hinter ihm lag.
Er beeilte sich, mit Claudius Schritt zu halten. Keine leichte Aufgabe, denn der Mann war drahtiger, als man es von einem Ratsmitglied erwarten würde. Und deutlich muskulöser, wie Damian bestätigen konnte, nachdem er ihn rudern gesehen hatte. Ohne Hemd. Der Mann musste ihn wirklich ständig demütigen. So auch jetzt, als er für jeden Schritt von Claudius zwei mehr machen musste, um mitzukommen.
In der letzten Woche gemeinsam mit ihm auf dem Schiff hatten sie sich einigermaßen aneinander gewöhnt. Claudius war eine andere Art von Reisegefährte als Veronika. Noch wortkarger und generell eher mürrisch. Das hatte Damian nicht überrascht. Der Rest seines Charakters hingegen schon. Sie waren auf einem Militärschiff der königlichen Flotte nach Thisbe zurückgereist, aber satt sich in seine Kabine zurückzuziehen oder den Soldaten nur Anweisungen zuzuschreien, hatte Claudius sich dem Kommando des Kapitäns unterstellt und wie alle anderen mitgearbeitet. Natürlich konnte Damian da nicht tatenlos daneben sitzen. So hatte er an seiner Seite gelernt, wie man Segel hisste und ruderte. Er hatte kniend das Deck geschrubbt, Segel geflickt und Essen gekocht, alles unter den wachsamen Augen von Claudius.
Auch als Lehrer unterschied sich Claudius von Veronika. Er war strenger mit ihm und weniger herzlich, aber trotzdem hatte Damian das Gefühl, dass er ihm ehrlich etwas beibringen wollte. Mit seinem Vater hatte er nie auf diese Art und Weise zusammengearbeitet und so fehlte ihm der Vergleich. Ein König würde wohl auch kaum am Boden knien und Planken schrubben... aber eigentlich genauso wenig ein Mann des Triumvirats oder der Thronfolger.
Als er Claudius bei der Arbeit darauf ansprach, hatte der sich nur aufgesetzt und ächzend den Schweiß von der Stirn gewischt, bevor er antwortete. „Der König hat mir die Streitkräfte anvertraut. All diese Männer hier unterstehen meinem Befehl. Wie sollen sie jemanden respektieren, der ihre täglich Arbeit nicht kennt? Der kein Teil von ihnen ist, sondern Papiere mit gesichtslosen Befehlen verschickt? Ich habe keine militärische Ausbildung. Meine Stärken liegen in meinem Verstand und meinen Büchern. Wie bei Veronika." Er zeigte ein seltenes Lächeln. „Aber wie sie weiß ich, dass Geist allein nicht alles ist. Unser Land wird von vielen hart arbeitenden Menschen am Laufen gehalten. Wir, die ihnen Befehle erteilen, müssen ihren Alltag kennen. Ich muss wissen, was es heißt, jemanden in den Krieg zu schicken. Gerade ein Herrscher, sollte sich nie zu schade sein, zu dienen. Veronika dient dir ja auch, obwohl sie dir weit überlegen ist."
Das war es, was Damian an Claudius schätzte. Es kümmerte ihn nicht, dass er der Thronfolger war. Er behandelte ihn ehrlich, auch wenn es wehtat. Wie einen Schüler, der lernen musste. Als sie in Thisbe von Bord gegangen waren und Claudius ihm mit den Worten „Gute Arbeit, Hoheit" auf die Schulter geklopft hatte, war er vor Stolz ein paar Zentimeter gewachsen.
Vielleicht lag es ja daran, dass ihm im Grunde nicht nur eine Mutter, sondern auch ein Vater im Leben fehlte. So genau hatte er darüber noch nicht nachgedacht und gerade hatte er dafür auch keine Zeit. Sein echter Vater verlangte seine Aufmerksamkeit.
Seite an Seite liefen sie die Gänge zum Schlafgemach des Königs entlang. Mit jedem Meter wurde Damian nervöser. Sein Herz klopfte ihm in der Kehle und er wischte die Innenflächen seiner schwitzigen Hände möglichst unauffällig an der Hose ab.

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Die Dornen der Götter
Fantasía„Hexen müssen sterben. So ist es Gesetz in Verlon. Seit dem Tag, als sich ihre Magie gegen uns wandte und Monster schickte. Seit dem Tag, als unser König die Kreaturen bezwang und in den Wald verbannte. Die Monster waren Gottes Strafe für Zauberei...