Die Badezimmer im Letzten Baum waren für eine Taverne geradezu luxuriös. Hier gab es keine hölzernen Wannen, bei denen man Angst haben musste, sich einen Spreißel in den Hintern zu rammen, sondern im Boden eingelassene Steinbecken. Durch ausgeklügelte Wasserleitungen wurden sie mit frischem, schon vorgeheiztem Quellwasser aus den Nadeln versorgt. Fast ein bisschen wie die Thermen im Süden.
Ich schloss die Augen und lehnte mich im Becken zurück, während mir die Wärme des Wassers allmählich in die müden Knochen stieg. Nach der anstrengenden Reise durch die Berge war mein Körper mehr als erschöpft. Für lange Zeit würde es mein letztes heißes Bad sein und ich wusste, dass ich es genießen sollte. Trotzdem ging mir das Gespräch mit Nathan nicht mehr aus dem Kopf. Während ich mir mit schäumender Lavendelseife den Dreck von Haut und Haaren schrubbte, dachte ich über die Bedeutung seiner Worte nach. Du dienst immer jemandem. Wahre Freiheit bedeutet, selbst zu entscheiden wem oder was.
Schnaubend pustete ich eine Schaumflocke von der Strähne in meinem Gesicht. Wenn das stimmte, dann war keiner wirklich frei. Außer vielleicht der König. Aber sicher nicht der Kronprinz. Den Eindruck hatte Damian nicht gemacht.
Und was die Geschichte von Ananke und den Paraklet betraf...Je mehr ich über die Hexen erfuhr, desto rätselhafter wurden sie. Das Bild ergab keinen Sinn. Wie bei einem Puzzle, von dem zu viele Teile fehlten. Vielleicht war mein Hirn auch einfach zu klein dafür.
In ein frisches Leinenhemd und einen Bademantel des Gasthauses gehüllt, kehrte ich ins Zimmer zurück. Die Angestellten hatten das Feuer im Kamin angeschürt und Kerzen entzündet, obwohl die Sonne noch nicht untergegangen war. Von Thalia fehlte jede Spur. Zweifellos hatte sie sich wieder mit ihren Drogen in irgendeine stille Ecke zurückgezogen. Die Hexe saß in einem Sessel am Feuer. Ihre Mahlzeit war wohl beendet, denn sie blätterte lustlos in einem Buch vom Regal von ihr.
Ich ignorierte sie und steuerte den Frisiertisch an. Aus dem Spiegel blickte mir mein sommersprossiges Gesicht entgegen, gekrönt von einem verworrenen brauen Haarbusch. Selbst im nassen Zustand konnte ich die Kiefernnadeln und Kletten sehen, die sich im Laufe der Reise darin verfangen hatten. Seufzend griff ich nach dem Kamm vor mir und setzte ihn am Haaransatz an. Ich hätte zehnmal lieber Holz gehackt, als das hier, aber wenn ich meine Haare behalten wollte, musste es getan werden. Und einen so guten Spiegel bekam ich im Arbor nicht. Dumm nur, dass die Hexe zusah. Das letzte, was ich heute Abend noch brauchte waren spöttische Kommentare.
Ich kam nicht weit. Aus dem Kämmen wurde wie immer bald ein Zerren und Reißen und als ich versuchte, die Reste einer Distel herasuzulösen, brach sogar ein Zinken des Kamms. Einige ausgerissene Haarbüschel später gab ich auf. Der Kamm steckte mittlerweile waagrecht in meinem Haar als sei er festgewachsen. Ich hätte es besser wissen müssen. Es endete immer so. „Irgendwann schneide ich euch ab", knurrte ich meinem Spiegelbild zu.
„Die können auch nichts dafür, dass Ihr sie so vernachlässigt." Im Spiegel sah ich, dass die Hexe mich über den Rand ihres Buchs beobachtete. Seufzend schlug sie es zu und kam zu mir herüber. „Kann ich helfen?" Sie deutete auf den Kamm, der noch immer in meinem Haar steckte. Ich war so überrascht von ihrem Angebot, dass ich nickte.
In einer einzigen Bewegung zog sie den Kamm heraus. Dann griff sie sich eine verknotete Strähne und begann mit kleinen Zupfbewegungen einzelne Härchen herauszulösen. Instinktiv spannte ich die Schultern an, aber der erwartete Schmerz blieb aus. Die Hexe war vorsichtiger als erwartet. Stumm, mit noch immer zusammengebissenen Zähnen, beobachtete ich durch den Spiegel, wie sie Strähne um Strähne meines nassen Haares in die Hand nahm und von Knoten befreite. Schließlich konnte ich mir einen Kommentar nicht mehr verkneifen. „Wie macht Ihr das? Es tut gar nicht weh."
„Mit Geduld." Sie lächelte spöttisch, während sie eine Kiefernnadel aus meinen Haarspitzen zupfte. „Hat Eure Mutter Euch das nicht beigebracht?"
„Hätte sie vielleicht, wenn sie die Chance dazu gehabt hätte."
DU LIEST GERADE
Die Dornen der Götter
Fantasy„Hexen müssen sterben. So ist es Gesetz in Verlon. Seit dem Tag, als sich ihre Magie gegen uns wandte und Monster schickte. Seit dem Tag, als unser König die Kreaturen bezwang und in den Wald verbannte. Die Monster waren Gottes Strafe für Zauberei...