Kapitel 11.2: Vor den Mauern

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Damian presste die Hände in die Oberschenkel, um das Zittern zu unterdrücken. Vergeblich. Seine Zähne schlugen unkontrolliert aufeinander.

„Damian?" Veronika rutschte aus dem Sattel. Sie landete mit den Füßen voran in einer Pfütze und schmutziges Wasser tränkte den Saum ihres Leinenhemds. Ohne sich darum zu kümmern, machte sie einen Schritt auf ihn zu.

Er hatte sie hier her geführt. Ohne einen Plan. Ohne den Hauch einer Ahnung, wie es jetzt weitergehen sollte. Sie hatte ihm vertraut und jetzt standen sie hier, in dieser dreckigen Gasse mitten in der Nacht, obdachlos, vermutlich umgeben von Kriminellen. Wenn sie nicht durch seine Aktion mittlerweile sogar selbst dazugehörten. Es war eine Sache, das Mädchen zu retten. Aber Veronika da mit rein zu ziehen, aus purem Egoismus- warum hatte er nicht nachgedacht? Vielleicht würde sein Vater ihm verzeihen, aber sicher nicht ihr. Und die angebliche Hexe...

„Wie heißt Ihr?", fragte Veronika sanft an das Mädchen gewandt, als sie sah, dass mit Damian im Moment nicht viel anzufangen war.

Das Mädchen umklammerte die Zügel seines Pferdes. Den ganzen Weg lang hatte es kein einziges Wort gesagt. „Julia, Herrin."

„Also gut, Julia. In einer Stadt wie der hier muss es Händler geben, die auch nachts geöffnet haben. Meistens in der Nähe der Poststationen. Lasst Euch vom Prinzen Gold geben und kauft uns neue Kleider. Umhänge, Wasserschläuche, Decken. Ich würde ja selbst gehen, aber so wie ich aussehe..." Sie breitete die Arme aus und machte eine Geste zu ihrem Körper hin. Damian schaute rasch weg. „Nun..." Ihr Tonfall klang leicht belustigt. „Jeder wird denken, ich sei entweder vor meiner Hinrichtung geflohen, oder einem Bordell entlaufen. Obwohl ich für letzteres mittlerweile wahrscheinlich zu alt bin."

„Nicht in dieser Stadt, glaub mir", murmelte Julia.

Veronika zögerte. Als sie sprach, war jede Spur von Ironie aus ihrer Stimme verschwunden. „Verstehe. Wenn Ihr nicht allein gehen wollt-"

„Keine Sorge, Herrin", sagte Julia rasch. „Ich kenne die Stadt. Gebt mir eine halbe Stunde."

Nachdem sie ein paar Münzen eingesteckt hatte, huschte sie in die Nacht davon.

Veronika sah ihr hinterher und schüttelte den Kopf. „Armes Kind."

„Warum?" Damian schnaubte. „Von uns dreien, ist sie doch am best-"

„Hast du ihr zugehört?" Ihre Stimmte war scharf. „Sie kennt diese Stadt. Weiß der Herr, was sie hier durchgemacht hat." Er hörte, wie sie schluckte. „Wer kein Geld hat, der zahlt mit allem anderen. Das wird in ihrem Leben nicht viel anders gewesen sein, als in meinem."

„War es schlau, sie mit dem Gold allein loszuschicken?" Noch immer starrte Damian zu Boden. „Was, wenn sie überfallen wird."

„Dann wird sie die paar Münzen bis aufs Blut verteidigen. Sie weiß, was davon abhängt." Im Gegensatz zu dir. Der Satz hing unausgesprochen in der Luft. „Mach dir keine Sorgen um sie. Überlege lieber, wie es jetzt weitergeht. Wir- Hörst du mir zu? Damian." Veronika seufzte. „Bitte. Schau mich einfach an."

Er spürte Hitze in seine Wangen steigen. „Nein."

„Jetzt reiß dich mal zusammen! Hast du Angst vor ein bisschen nackter Haut?"

„Nicht an sich", murmelte er, „vor deiner schon."

Sie lachte auf, laut, und für einen Moment war jede Vorsicht vergessen. „Wenn nur mehr Männer deine Skrupel hätten. Tröste dich. Ich habe wirklich schon Schlimmeres erlebt."

„Es geht doch nicht darum, ob-"

„Ich weiß", sagte sie sanfter. „ Aber jetzt ist nicht der Moment dafür. Wir müssen hier weg. So schnell wie möglich. Dein Plan-"

„Welcher Plan? Ich habe keinen!" Allein es auszusprechen, ließ ihn wieder zittern. Seine Augen füllten sich mit Tränen und er hasste sich dafür. „Ich bin nicht du. Oder Julia." Er biss sich auf die Lippe. „Ich weiß nichts vom Leben auf der Straße. Von Armut. Oder Arbeit." Beim letzten Wort schnaubte er kurz, und es klang wie ein verbittertes Lachen. „Einmal treffe ich eine Entscheidung, einmal, und schau, wo wir gelandet sind. Wortwörtlich in der Gosse. Ich bin zu nichts nütze!" Damian fuhr sich kopfschüttelnd über die Stirn, verbarg sein Gesicht zwischen den Knien. Es tat weh, das auszusprechen. Die Wahrheit. Aber Veronika kannte sie ohnehin. „Ich beherrsche kein Handwerk. Nichts, mit dem ich Geld verdienen könnte. Verdammt, ich kann nichtmal meine eigene Wäsche waschen!"

Veronika schmunzelte. „Das haben schon Dümmere gelernt. Aber alles zu seiner Zeit." Sie trat auf ihn zu, kniete sich vor ihn und zog ihm die Hände vom Gesicht. „Hör auf zu jammern. Was du jetzt am Dringendsten brauchst, ist Verstand. Davon hast du reichlich - für gewöhnlich. Benutzte ihn. Denke. Was wird dein Vater von dir erwarten?"

Er fuhr sich über die Stirn. Noch immer wirbelten die Gedanken in seinem Hirn, als hätte sie der Ritt von Thisbe hier her gründlich durchgeschüttelt „Dass ich in den Norden gehe. Da wollte ich immer schon hin."

„Also...?"

„Tue ich das... nicht?" Er überlegte. Atmete. Schob Ideen wie Puzzleteile hin und her. Ein Teil von ihm wollte nichts lieber, als Mera hinterher reisen. Den Arbor sehen. Ihre Stimme hören, ohne, dass ein Spiegel sie trennte. Es war ein sehr lauter Teil, zugegeben. Einer, der unbedingt gehört werden wollte. Trotzdem verwarf er die Idee fast sofort. Das waren egoistische, kindische Wünsche, weit entfernt von jeder Realität. Stattdessen nahm ein anderer Plan in seinem Kopf Gestalt an. Je mehr er darüber nachdachte, desto logischer erschien es ihm. Er musste Mera nicht ihre Mission wegnehmen. Er konnte seine eigene haben. „Von Antonia aus legen Schiffe zu den äußeren Inseln ab", überlegte er laut. „Wenn Julia es bis dahin schafft, ist sie in Sicherheit. Keiner kennt dort ihr Gesicht, niemand würde nach ihr suchen. Sie könnte neu anfangen."

„Eine gute Idee. Und wir?"

„Kein wir. Du begleitest sie. Wo ich hingehe, ist es gefähr-"

„Und wenn es das Ende der Welt wäre, ich würde mit dir gehen." Noch immer kniete Veronika vor ihm. Sie sah ihm in die Augen, nur für einen kurzen Moment, weil Damian ihren Blick dann nicht mehr ertragen konnte. „Ich bin, wo du bist, außer du bittest mich, zu gehen", sagte sie, leise, aber fest.

Er schnaubte. „Du weißt genau, dass ich das nicht kann."

„Dann ist es beschlossen. Also noch einmal: Wohin gehen wir?"

Damian stand auf und klopfte sich den Dreck von der Hose. Es hatte keinen Sinn, mit Veronika zu diskutieren. Und ihr befehlen, fortzugehen brachte er einfach nicht über sich. „Antonia vor den Mauern ist nicht nur eine Hafenstadt. Hier starten auch die Handelskaravanen in die Segva." Er war immer noch ein wenig wacklig auf den Beinen aber immerhin hatte er mittlerweile wieder so etwas wie eine Vision. Ein Ziel vor Augen. „Ich bin vielleicht auf der Flucht, aber ich kann meinem Land auch im Exil dienen. Mehr noch als im Palast, wahrscheinlich." Er dachte an schwarze Schlangen. An Eier und Dämpfe aus der Erde. Sein Entschluss war gefasst. „Stell dich auf eine anstrengende Reise ein. Wir gehen in die Wüste."

Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt