Kapitel 4.1: Das Schwiegermutterglas

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Damian

Der König war krank. 

Noch immer sah Damian die Bilder vor sich, den Husten, das blutige Taschentuch. Natürlich hatte er nichts davon gewusst. Sein Vater zeigte niemals Schwäche, auch nicht vor seinem Sohn und Erben. Besonders nicht vor dem. Trotzdem, man spuckte nicht einfach so Blut. Er würde seine Kontakte spielen lassen müssen, um rauszufinden, was los war.

„Ladet alles auf den Wagen. Beeilt euch!" Damian beobachtete aus dem Schatten der Palastmauern, wie seine Soldaten im Schutz der Nacht ihre Rucksäcke in den offenen Pferdekarren hievten. Zwei seiner besten Männer, Cosmas und Marcus, zusammen mit Thalia. Sie alle waren sorgfältig ausgesucht, nach Loyalität und Verschwiegenheit. Die Hexe saß bereits an Händen und Füßen gefesselt auf der Ladefläche. Wie seine Soldaten trug sie Reisekleidung und den langen grünen Umhang der Waldweisen, dessen Kapuze ihr Gesicht verbarg. 

„Ist sie das?" Lautlos war Mera von Eldra neben ihn getreten. Ihr Blick ging durch die Dämmerung zur Hexe hinüber. Es lag keine Abscheu in ihrer Stimme, eher so etwas wie Neugier.

Damian nickte. „Seid wachsam in ihrer Nähe. Seht Ihr die Ranken um ihre Handgelenke? Das ist Hexendorn. Solange sie den trägt, kann sie nicht zaubern. Sie kann die Fesseln auch nicht selbst entfernen, also achtete darauf, dass sie nicht beschädigt werden."

„Wisst Ihr, wie man eine gefesselte Frau im Arbor nennt?" Mera wandte ihm das Gesicht zu, die Stirn in Falten gelegt. „Frischfleisch." Ihre buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen.  „Ich kann sie nicht durch den Wald bringen, wenn sie verschnürt ist, wie ein Paket."

Am liebsten hätte Damian die Augen verdreht. „Nur den Hexendorn, habe ich gesagt. Die anderen Fesseln könnt Ihr abnehmen, wenn ihr in Sarsonne seid. Der Wagen wird euch aus der Stadt bringen, bevor die Tore schließen und noch einen Teil der Strecke über die Via Cardinale. Ab morgen müsst ihr dann laufen."

„Und sie wird mitmachen?", fragte Mera, nun wieder in Richtung Hexe. „Was bekommt sie dafür?"

„Ihr Leben. Und ihre Freiheit."

„Wirklich?" Mera hob spöttisch die Brauen. „Was ist aus eine Hexe darf nicht leben geworden?"

„Manchmal muss man das kleine Böse in Kauf nehmen, um das große Böse zu verhindern. Ich merke, Ihr wart bei der Schriftlesung im Tempel. Habt Ihr die Feierlichkeiten genossen?"

„Sie waren", sie zögerte, „eindrucksvoll."

„Anders als im Norden?"

„Anders. Ja. Definitiv."

„Inwiefern?"

„Naja. Wir essen viel. Und dann trinken wir noch mehr."

Damian schnaubte los und verbarg sein Lachen schnell in einem künstlichen Husten. Bei dem Geräusch sah Thalia alarmiert zu ihnen hinüber. Sie verzog mürrisch die Mundwinkel, aber er konnte nicht aufhören, zu grinsen. „Dann haben sich Eure Vorurteile über die Hauptstadt bestätigt? Sind wir wirklich so fanatisch und radikal?"

„Ja." Sie sah ihm in die Augen. „Aber nicht alle."

Damian spürte, wie seine Wangen verdächtig heiß wurden. Gott, was war los mit ihm? Rasch räusperte er sich, griff in seine Manteltasche und zog einen Beutel hervor. Er klimperte, als er ihn in Meras Hand fallen ließ. „Eure Anzahlung. Den Rest bekommt Ihr, wenn Ihr mit der Blüte zurückkehrt. Meine Leute werden alle Unkosten der Reise tragen. Spart nicht, geht kein Risiko ein. Ihr habt die Verantwortung für diese Mission. Wenn Ihr Hilfe braucht, wendet Euch an Thalia. Und-ach ja-" Wieder griff er in seinen Umhang und förderte einen weiteren Gegenstand zu Tage. Es war eine viereckige, handgroße Scheibe aus schwarzem Glas, in einen schlichten Silberrahmen gefasst wie ein Spiegel. „Tragt das hier immer bei Euch. Dadurch können wir uns sehen und miteinander sprechen."

Mit gerunzelter Stirn nahm ihm Mera den Spiegel ab. „Auch auf die Gefahr hin, dass ich meine Dummheit offenbare: Was ist das?"

„Ein Schwiegermutterglas."

„Ein was?"

„Man nennt es so, weil es früher oft von Müttern verwendet wurde, um ihre Schwiegertöchter in der Ferne zu kontaktieren. Oder zu überwachen, je nachdem, wie man es sieht. Es ist ein halbmagischer Gegenstand. Harmlos, aber sehr nützlich. Und natürlich verboten."

Das entlockte Mera ein Schmunzeln. „Also auch ein kleines Böse?"

Damian sah auf sie herab. Mera hatte sich die Kapuze nur halb über den Kopf gelegt und ihr kastanienbraunes Haar quoll in dicken Locken daraus hervor. So nah, wie sie bei ihm stand, konnte er sogar ihre Augenfarbe erkennen. Grün, wie der Arbor und die Umhänge der Waldwacht. Ihr Lächeln ließ ihre Augen leuchten und zusammen mit ihren Sommersprossen verlieh es ihrem Gesicht etwas Verschmitztes. Ohne es wirklich zu beabsichtigen, erwiderte er ihr Lächeln. 

Thalia hatte Recht. Dieses Mädchen war eindeutig zu vorlaut im Umgang mit einem Prinzen. 

Und er liebte es.

Wenn im Norden alle so waren, dann wusste er schon, wohin seine erste Reise als König gehen würde.

„Das Glas wird warm, wenn einer von uns hineinsieht", sagte er. „Ihr könnt mich so auch kontaktieren, sollte es nötig sein. Ich erwarte regelmäßige Berichte über den Fortschritt der Expedition."

Sie deutete eine Verbeugung an. „Wie Ihr wünscht, Hoheit."

„Gut. Geht jetzt. Bevor die Stadttore schließen." Für einen Moment sah er sie noch an. „Gott sei mit Euch, Mera."

„Und mit Euch." Sie schenkte ihm ein halbes Lächeln. „Wir hören voneinander, Prinz."

Er sah sie davongehen, sich auf den Wagen zu Thalia und den anderen schwingen. Sie warf noch einen letzten Blick zurück. Dann zog sie die Kapuze ins Gesicht und der Karren setzte sich in Bewegung. 

Damian schaute ihnen nach, bis seine geheime Expeditionsgruppe von der herabsinkenden Dunkelheit verschluckt wurde.

 Viel Glück, Merope von Eldra.

Gerade als er sich wieder zum Palast wenden wollte, hörte er auf dem Kiesweg hinter sich Schritte.

„Hoheit!" Der Page kam so aprubt vor ihm zum Stehen, dass er eine Wolke Staub auf seine polierten Feiertagsschuhe fegte. Rasch verneigte er sich. Damian hob eine Braue. „Ich suche Euch seit einer halben Stunde. Der König will Euch sehen. Dringend."

Damian fühlte sich, als sinke ein Eisklotz in seinen Magen. In Sekundenschnelle jagten Schauer über seinen Rücken, von heiß zu kalt, bis unter die Haarwurzeln. 

Sie hatten sich doch erst heute Morgen beim Frühstück getroffen und die üblichen Förmlichkeiten ausgetauscht. Wenn der König ihn so bald schon wieder zu sich rief, konnte das nur eins bedeuten: 

Sein Vater wusste Bescheid. 

Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt