Kapitel 13.2: Ein Schwarzdolch kommt selten allein

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Kein Grund mehr, jetzt noch zu flüstern. Sie hatten uns längst gewittert.

Das Blut aus der Halswunde des Hirschen lief noch. Marcus hatte Recht, es war frisch. Zu frisch. Dazu die fehlenden Fliegen um den Kadaver. Hätte ich meine Wachsamkeit und meine Sinne benutzt, wäre mir schon vor hunderten von Metern aufgefallen, dass die Vögel verstummt waren. Ungewöhnlich für diese Tageszeit, wo sie sonst eher nochmal richtig aufdrehten. Aber ich hatte nicht hingehört. Meine Gedanken waren auf Damian konzentriert gewesen. Wie ein verliebtes kleines Mädchen hatte ich über sein Schweigen geschmollt und dabei meine Pflicht vernachlässig. Die eine Sache, die ich mir geschworen hatte, nie zu tun.

„Hexe", raunte ich. „Bleibt hinter uns. Sucht Euch einen Baum und kommt nicht wieder runter." Wir hatten nicht die Zeit, uns alle in sichere Höhe zu flüchten, aber ihr konnten wir vielleicht lang genug Deckung geben. Besser sie war aus dem Weg, wenn es hässlich wurde. Eine scharfe Zunge war nicht die Waffe, die wir hier brauchten.

Meine rechte Hand zitterte, als ich die Bogensehne bis zum Ohr zog. Neben mir zerschnitt der Klang von Stahl die Luft. Die Soldaten rückten näher an mich, aber mein Blick war nach wie vor auf den Schatten gerichtet, der im Dämmerlicht zwischen den Bäumen Gestalt annahm. Gelbe Augen glühten aus der Dunkelheit.

Hinter mir hörte ich ein Knacken. Mein Kopf schnellte zur Seite, aber es war nur die Hexe, die mühsam auf den nächsten Baum kletterte.

„Sie jagen in Rudeln bis zu sechs Tieren", sagte ich, während ich einen Fuß vorschob, um mich stabiler hinzustellen. „Zielt auf die Schnauzen und die Unterseite der Bäuche, da sind sie am verwundbarsten. Am Fell prallt jede Klinge ab."

Mit einem Surren löste sich mein Pfeil. Es zischte, als er ins Dickicht schoss, dicht gefolgt von einem Pfeil Thalias. Ein lang gezogenes Jaulen verriet, dass wir unser Ziel gefunden hatte.

Für einen Moment herrschte Stille. Dann stimmten andere in das Jaulen ein. Es kam von allen Seiten, ein schauderhafter Chor, der mir Gänsehaut über den Rücken jagte. Dazu ein tiefes Knurren und das Geräusch von Klauen, die an Rinde gewetzt wurden. In der Gemeinschaft klang das Heulen nicht länger wie ein Schmerzenslaut, sondern ein Schlachtschrei. Die Versammlung der Truppen vor dem Kampf.

Am Himmel stieg der Vollmond über die Baumwipfel. Die Schwarzwölfe traten aus den Schatten.

Wie die ihrer widernatürlichen Geschwister, der Vögel, waren auch ihre Augen gelb und geschlitzt, gleich denen eines Reptils. Dichtes schwarzes Fell bedeckte ihren massigen Körper unter dem man bei jeder Bewegung Muskeln spielen sah. Ein Wolf knurrte und offenbarte dabei sein Gebiss, eine Sammlung aus Dolchen in allen Größen. Ihr gesamter Mund schien nur aus Reißzähnen zu bestehen und ihre Krallen waren nicht angenehmer. Einmal hatte ein Waldweise in meinem Beisein einen Hieb damit abbekommen. Die Narben trug er bis heute.

Die Wölfe zogen ihren Kreis enger, lauernd und geduckt, die kleinen Ohren angelegt. Es war ihre Taktik. Wenn wir überleben wollten, hatten wir nur eine Chance: Den Kreis durchbrechen.

Ich dachte nicht mehr nach. Mein Körper reagierte schneller als mein Verstand. Spulte die Schritte ab, die ich in endlosen Trainingseinheiten mit meinem Vater im Eldra Tal verinnerlicht hatte. Blind griff meine Hand nach dem nächsten Pfeil, nockte ihn ein, spannte die Sehne. Zielte. Schoss. Dann wiederholte ich die Bewegungen. Wieder und wieder, bis die Köpfe der Wölfe vor mir mit Pfeilen gespickt waren wie übergroße Nadelkissen. Die Vorderpfoten eines Tiers sackten ein und kurz dachte ich, es würde endlich zusammenbrechen. Aber dann stemmte es sich wieder knurrend auf die Beine. Es brauchte mehr als ein paar Pfeile, um einen Schattenwolf zu besiegen.

Thalias Schulter stieß gegen meine. Rücken an Rücken schossen wir unsere Pfeile in die Meute, die ihren Kreis trotzdem stetig enger zog. Dann, als die Wölfe schon in Sprungdistanz waren, griffen auch die Männer an. Mit einem Schrei und erhobenem Schwert stürmte Cosmas auf einen Wolf zu. Er hieb ihm in einem einzigen Schlag die Schnauze ab. Ein langer Zahn splitterte und wurde gegen meinen ledernen Beinschoner geschleudert. Noch nie war ich so froh gewesen, dass die Soldaten uns begleiteten. Sie mochten nicht die einfühlsamsten Männer unter der Sonne sein. Aber kämpfen, das konnten sie.

Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt